aa) Verzicht ist keine steuerbare und steuerpflichtige Schenkung
Aus Sicht der pflichtteilsverpflichteten Person stellt sich zunächst die Frage, ob der zu ihren Gunsten ausgesprochene Verzicht – genauer: Erlass – (schenkung-)steuerliche Konsequenzen entfaltet. Ist der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt, dürfte dies einer Schenkungsteuerbarkeit nicht per se entgegenstehen, da der Anspruch trotz Verjährung fortbesteht. Allenfalls könnte man sich fragen, ob der nicht durchsetzbare Anspruch die verpflichtete Person noch wirtschaftlich belastet. Dies dürfte aber offenbleiben können: Soweit der (erforderlichenfalls zu schätzende) Wert des Pflichtteilsanspruchs und der Abfindungszahlung sich entsprechen, dürfte es bereits an einer objektiv freigebigen Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG fehlen. Übersteigt der Wert des Pflichtteilsanspruchs – und damit auch der Wert des Verzichts – den Abfindungsbetrag, könnte in der Differenz eine freigebige Zuwendung zu sehen sein. Dann müsste allerdings auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein, was i.d.R. nur bei einer deutlichen Wertdiskrepanz feststellbar sein wird (vgl. allgemein Götz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 7 Rz. 168 ff., Rz. 169.1; vgl. ferner BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660 Rz. 14 = ErbStB 2018, 321 [Marfels]: Relevantes Missverhältnis bei Abweichung von 20–25 %).
Ferner wäre zu überlegen, ob – wenn man von einer steuerbaren Schenkung ausgeht – die Pflichtteilsverpflichtung nicht in gleicher Höhe als abzugsfähige Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen wäre (s. hierzu unten bb)).
Schließlich befreit jedenfalls § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG die vom Verzicht begünstigte Person von der Schenkungsteuer (vgl. zu der Regelung i.E. Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, ErbStG, § 13 Rz. 66 f.).
bb) Abzugsfähigkeit der Abfindungsleistung
Sodann stellt sich die Frage, ob die geleistete Abfindung bei der Erbschaftsteuerfestsetzung – soweit auf den Erwerb von Todes wegen Erbschaftsteuer entfällt – abgezogen werden kann. Dabei kommt zunächst § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG in Betracht, der allerdings die – hier annahmegemäß nicht vorliegende (s. oben unter III. 2.) – Geltendmachung voraussetzt.
Es stellt sich aber die Frage, ob nicht ein Abzug nach der allgemeineren Regel des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG (wenn auch mit der Folge des Verbrauchs des Pauschbetrages von 10.300 EUR nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG) zulässig ist. Der BFH hat einen Abzug für die Abfindung nicht verjährter Pflichtteilsansprüche bejaht (vgl. BFH v. 18.3.1981 – II R 89/79, BStBl. II 1981, 473 Rz. 10 ff.: Abzug entsprechend § 24 Abs. 6 ErbStG i.d.F. v. 1.4.1959; Götz in Stenger/Loose, BewG/ErbStG/GrStG, § 3 ErbStG Rz. 312; Loose in v. Oertzen/Loose, ErbStG, § 3 Rz. 137).
Eine Abfindung für einen bereits verjährten Pflichtteilsanspruch war zwar, soweit ersichtlich, bislang nicht Gegenstand der BFH-Rspr. oder von Erörterungen in der Literatur. Der Verjährungseintritt dürfte aber an der Beurteilung nichts ändern, da die Abfindung gleichwohl auf eine zivilrechtlich bestehende (wenn auch nicht durchsetzbare) Verpflichtung geleistet wurde. Meines Erachtens stellt sich dann auch nicht die Frage der Bewertung des Pflichtteilsanspruchs bzw. der Pflichtteilsverbindlichkeit (für die aufgrund der Einredebehaftung eine Bewertung mit 0 EUR in Betracht kommen könnte – so für den Fall der Geltendmachung und Erfüllung des verjährten Pflichtteilsanspruchs Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 10 Rz. 183); denn es geht gerade nicht um die Geltendmachung dieses Anspruchs, sondern um die Leistung einer Abfindung, die eigenständig mit dem Nominalwert zu bewerten sein dürfte.
Die Finanzverwaltung hat hierzu in einzelnen Verfahren indes eine andere Auffassung vertreten. Sie hat die Abzugsfähigkeit der Abfindungsleistung verneint und sich dabei u.a. auf das BFH-Urteil v. 5.2.2020 berufen (BFH v. 5.2.2020 – II R 17/16, BStBl. II 2020, 584 = ErbStB 2020, 245 [Uhl-Ludäscher]). Dort entschied der BFH, dass ein Erbe einen verjährten Pflichtteilsanspruch, der dem Erben gegen den Erblasser zustand, trotz der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehen kann. Die Entscheidung dürfte sich aber kaum auf den hier unterstellten Sachverhalt übertragen lassen, in dem keine Konfusion des Pflichtteilsanspruchs eintritt, sondern auf diesen gegen Abfindung verzichtet wird. Daher liegt auch kein Fall der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG vor, der verjährte Pflichtteilsanspruch wird nicht vom Erben bzw. der Erbin gegen sich selbst geltend gemacht.
Es besteht also im Grundsatz ein Interessengegensatz zwischen der pflichtteilsberechtigten und der pflichtteilsverpflichteten Person. Die Entscheidung der verpflichteten Person, trotz Verjährungseintritts eine Abfindung zu leisten, kann daher auch erbschaftsteuerlich berücksichtigt werden. Etwas anderes könnte allenfalls in Missbrauchsfällen nach § 42 AO gelten, für die aber greifbare Anhaltspunkte bestehen müssten.
Beraterhinweis Verfahrensrechtlich ist zu beachten, dass eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht kommt, falls im Zeitpun...