1. Verzicht gegen Abfindung vor dem Erbfall
Wird vor dem Erbfall auf den zukünftigen, potentiellen Pflichtteilsanspruch verzichtet, fällt dies zivilrechtlich unter § 2346 Abs. 2 BGB (vgl. allerdings die Differenzierung zwischen Pflichtteilsverzicht i.S.d. § 2346 Abs. 2 BGB und Verzicht durch Erbschaftsvertrag i.S.d. § 311b Abs. 5 BGB, Wachter, DB 2017, 2500, 2501 ff.). Für den Erhalt der Abfindungszahlung gilt die Fiktion des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, nach der von einer Schenkung unter Lebenden auszugehen ist (vgl. zur Terminologie Wachter, DB 2017, 2500, 2505: Pflichtteilsverzicht als Unterfall des Erbverzichts).
Die Steuer entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG folgerichtig mit Ausführung der Schenkung, also mit der Abfindungszahlung, und nicht erst mit dem Eintritt des Erbfalls. Der Bezugnahme auf § 2346 BGB, der einen Vertrag mit dem Erblasser bzw. der Erblasserin voraussetzt, dürfte zu entnehmen sein, dass § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG als Spezialregelung nur für Abfindungsleistungen dieser Personen greift, während Abfindungsleistungen von Dritten – insb. potentieller Erbinnen oder Erben – unter die allgemeine Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG fallen (vgl. BFH v. 10.5.2017 – II R 25/15, BStBl. II 2018, 201 Rz. 10 = ErbStB 2017, 297 [Hartmann]; BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, BStBl. II 2001, 456 Rz. 9 ff.; Götz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 7 Rz. 242; a.A. i.E. wohl Wachter, DB 2017, 2500, 2505, 2507).
Nach geänderter BFH-Rspr. ist in diesen Fällen auch für die Ermittlung der Steuerklasse und des Steuersatzes das Verhältnis zu der Person zugrunde zu legen, die die Abfindung leistet (BFH v. 10.5.2017 – II R 25/15, BStBl. II 2018, 201 Rz. 11 ff. = ErbStB 2017, 297 [Hartmann]; anders noch BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, BStBl. II 2001, 456 Rz. 9 ff.: maßgeblich stets Verhältnis zum potentiellen Erblasser bzw. zur potentiellen Erblasserin; Kritik an der neuen Rspr. in den Fällen des § 2346 Abs. 2 BGB etwa bei Wachter, DB 2017, 2500, 2506 f.). Der Pflichtteilsverzicht soll keine zu berücksichtigende Gegenleistung darstellen, da es sich um eine bloße Erwerbschance handelt (BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, BStBl. II 2001, 456 Rz. 11; vgl. auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 316: Aus diesem Grund auch kein Ausschluss des subjektiven Schenkungstatbestandes).
Beraterhinweis Die Zahlung der Abfindung ist, sofern sie der Erblasser bzw. die Erblasserin leistet, erbschaftsteuerlich irrelevant. Soweit sie von Personen geleistet wird, die ihrerseits zu einem späteren Zeitpunkt einen Erwerb von Todes wegen zu versteuern haben – insb. also die Erbinnen oder Erben – kommt ein Abzug nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG in Betracht (so Götz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 7 Rz. 240.2; dies dürfte aufgrund des Veranlassungszusammenhangs trotz der geänderten BFH-Rspr., BFH v. 10.5.2017 – II R 25/15, BStBl. II 2018, 201 Rz. 11 ff. = ErbStB 2017, 297 [Hartmann], fortgelten).
2. Verzicht gegen Abfindung nach dem Erbfall
Wird nach dem Erbfall auf den Pflichtteilsanspruch verzichtet, so ist zunächst danach zu differenzieren, ob der Pflichtteilsanspruch bereits geltend gemacht wurde oder nicht. Geltendmachung meint ein ernstliches Erfüllungsverlangen (vgl. etwa Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rz. 224 ff. m.w.N.) und ist Voraussetzung der Tatbestände § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 ErbStG und § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG, die zum Schutz der Entschließungsfreiheit der pflichtteilsberechtigten Person vor Äußerung eines solchen Verlangens nicht aktiviert werden sollen.
Damit führt die schlichte Nicht-Geltendmachung bei der pflichtteilsberechtigten Person insb. nicht zu einem steuerbaren Erwerb (vgl. zum Ganzen etwa Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rz. 224 ff.).
Für die im Folgenden insb. zu betrachtenden Fälle der Abfindung verjährter Pflichtteilsansprüche soll davon ausgegangen werden, dass diese nicht geltend gemacht worden sind, zumal der Verzicht gegen Abfindung im Einzelfall gerade deshalb vereinbart wird, um eine förmliche Geltendmachung zu umgehen.
a) Behandlung der Abfindung auf Berechtigtenseite
aa) Keine steuerbare Schenkung
Aus Sicht der pflichtteilsberechtigten Person stellt sich in steuerlicher Hinsicht zunächst die Frage, ob die Abfindungszahlung bei ihr eine steuerbare Schenkung darstellt. Dies scheint zunächst nicht abwegig und wurde von Seiten der Finanzverwaltung in entsprechenden Verfahren bereits so vertreten. Denn immerhin fließt eine Geldzahlung, obwohl der Pflichtteilsanspruch verjährt und daher rechtlich nicht mehr durchsetzbar ist.
Insoweit könnte man zunächst an die bereits angesprochene Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG denken. Nach der Regelung gilt als Schenkung unter Lebenden, was als Abfindung für einen Erbverzicht (§§ 2346 und 2352 BGB) gewährt wird. Indes zeigen der Verweis auf § 2346 BGB (s. bereits oben II.) und die Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG (s. hierzu unten b), bb)), dass hiervon nur der Pflichtteilsverzicht vor Eintritt des Erbfalls erfasst wird (Götz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 7 Rz. 238; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 321; Wachter, DB 2017, 2500, 2503).
Allerdings kann die Abfindun...