Leitsatz
Eine (stillschweigende) Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ergibt sich nicht allein daraus, dass der Arbeitnehmer die Einrichtung (aus der maßgeblichen Sicht ex ante) nur gelegentlich zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aufsuchen muss, im Übrigen aber seine Arbeitsleistung ganz überwiegend außerhalb der festen Einrichtung erbringt (Anschluss an das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 9, Beispiel 1 und Abwandlung).
Normenkette
§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2, § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 4, Abs. 4a EStG
Sachverhalt
Der Kläger war in den Streitjahren (2015 bis 2017) als Bauleiter bei der Y-AG, einem international tätigen Bauunternehmen, beschäftigt. Die Y-AG unterhielt eine Niederlassung in der X-Straße in Z. Nach § 1 des Arbeitsvertrags des Klägers war sein "Einstellungsort" in Z. Ihm stand in den Streitjahren ein Firmenwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung. In ihren LSt-Anmeldungen und den Lohnabrechnungen des Klägers berücksichtigte die Y-AG im Rahmen der Nutzung des Firmenwagens für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte die sog. 0,03 %-Regelung und setzte einen entsprechenden Sachbezug an.
In den ESt-Erklärungen für die Streitjahre machte der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit unter anderem Werbungskosten für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte geltend. Als Ort der ersten Tätigkeitsstätte gab er jeweils "Z" an. Diese habe er im Jahr 2015 an 215 Tagen (gemäß berichtigter Anlage N), im Jahr 2016 an 209 Tagen und im Jahr 2017 an 217 Tagen aufgesucht. Außerdem machte er Verpflegungsmehraufwendungen mit einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 178 Tagen im Jahr 2015 (gemäß berichtigter Anlage N), an 162 Tagen im Jahr 2016 und an 168 Tagen im Jahr 2017 geltend. Zum Beleg der Verpflegungsmehraufwendungen reichte der Kläger Bescheinigungen der Y-AG ein.
Das FA erkannte die Verpflegungsmehraufwendungen für 2015 nicht an. Die Entfernungspauschale berücksichtigte es hingegen erklärungsgemäß für 215 Tage. Für 2016 und 2017 setzte es die Verpflegungsmehraufwendungen demgegenüber wie erklärt an, kürzte dafür aber die Entfernungspauschale auf 47 Tage (2016) beziehungsweise auf 49 Tage (2017).
Der Kläger legte gegen die ESt-Bescheide für die Streitjahre Einsprüche ein, mit denen er unter anderem geltend machte, dass er in Z keine erste Tätigkeitsstätte gehabt habe. Das FA wies den Einspruch für 2015 als unbegründet zurück und setzte die ESt für 2016 und 2017 nach einem Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden Einspruchsentscheidung höher fest. Der Kläger habe in Z über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt. Die Verpflegungsmehraufwendungen seien mangels Nachweises der Abwesenheit von mehr als acht Stunden von der ersten Tätigkeitsstätte nicht anzuerkennen.
Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt. Der Kläger habe in der Niederlassung der Y-AG in der X-Straße in Z nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt. Deshalb seien der Arbeitslohn des Klägers um die sich aus der Anwendung der 0,03 %-Regelung ergebenden Beträge zu reduzieren und die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.11.2021, 3 K 6/20, Haufe-Index 15037619, EFG 2022, 392).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Für die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu privaten Fahrten gilt nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entsprechend. Kann das Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte genutzt werden, erhöht sich dieser Wert gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nach Maßgabe der tatsächlichen Benutzung des Dienstwagens für solche Fahrten. Der Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG(0,03 %-Regelung) kommt nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nur zur Anwendung, wenn und soweit der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nutzt.
2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen scheidet der Ansatz eines Nutzungsvorteils nach der 0,03 %-Regelung im Streitfall aus. Denn der Kläger verfügte in den Streitjahren nicht über eine erste Tätigkeitsstätte, sodass die Nutzung des ihm von der Y-AG überlassenen Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von vornherein nicht in Betracht kam.
3. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
4. Bei der Niederlassung der Y-AG in der X-Straße in Z handelt es sich unstreitig um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung der Arbeitgeberin des Klägers.
5. Die Vorinstanz hat jedoch ohne Rechtsfehler eine Zuordnung des Klägers zu dieser...