Leitsatz
Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der 6. EG-RL hindert einen Mitgliedstaat daran, bei der Umsetzung dieser RL in das nationale Recht die nationalen Vorschriften über die Beschränkungen des Rechts auf Vorsteuerabzug beim Kauf von Kraftstoff für Fahrzeuge, die für eine steuerpflichtige Tätigkeit verwendet werden, in ihrer Gesamtheit aufzuheben, indem er sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser RL in seinem Gebiet durch solche ersetzt, in denen hierzu neue Kriterien festgesetzt werden, sofern – was vom vorlegenden Gericht zu beurteilen ist – die letztgenannten Vorschriften eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Beschränkungen bewirken. Der betreffende Artikel hindert einen Mitgliedstaat auf jeden Fall daran, seine im genannten Zeitpunkt in Kraft getretenen Rechtsvorschriften später derartig zu ändern, dass der Anwendungsbereich dieser Beschränkungen gegenüber der Situation, die vor diesem Zeitpunkt bestand, ausgedehnt wird.
Normenkette
Art. 17 Abs. 2 und 6, Art. 27 der 6. EG-RL (vgl. Art. 176, Art. 177 MwStSystRL, § 15 Abs. 4 UStG)
Sachverhalt
Polen hatte nach dem Beitritt die im Zeitpunkt des Beitritts (01.05.2004) zur Gemeinschaft geltenden Regelungen über die Beschränkungen des Vorsteuerabzugs beim Kauf von Kraftstoff für Kfz, die für eine steuerpflichtige Tätigkeit verwendet werden, in vollem Umfang aufgehoben und an deren Stelle Regelungen erlassen, bei denen die Beschränkung nach anderen Kriterien definiert wurde.
Entscheidung
Zu den von der polnischen Regierung geltend gemachten Zweifeln an der Zulässigkeit des Ersuchens entschied der EuGH: Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind. Das war ersichtlich nicht der Fall. Zur Bedeutung der Stillhalteklausel ergeben sich die Grundsätze aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der 6. EG-RL (vgl. Art. 176 MwStSystRL) enthält eine Stillhalteklausel, die die Beibehaltung der innerstaatlichen Ausnahmen vom Vorsteuerabzugsrecht vorsieht, die vor dem Inkrafttreten der 6. EG-RL galten. Nach dem Beitritt und Inkrafttreten der RL dürfen die bestehenden Ausschlusstatbestände zwar eingeschränkt, aber nicht erweitert werden. Die Aufhebung der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 6. EG-RL – zugelassenen – nationalen innerstaatlichen Beschränkungen und ihre Ersetzung durch andere innerstaatliche Vorschriften lässt als solche nicht darauf schließen, dass der betroffene Mitgliedstaat davon Abstand genommen hätte, Ausnahmeregelungen vom Vorsteuerabzugsrecht anzuwenden. Ebenso lässt eine solche Rechtsänderung als solche, soweit sie nicht zu einer Erweiterung der früheren nationalen Ausnahmen ab dem genannten Zeitpunkt geführt hat, nicht auf einen Verstoß gegen Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der 6. EG-RL schließen. D.h. eine Neuregelung von gemeinschaftsrechtlich zugelassenen Ausnahmetatbeständen ist unschädlich, soweit sie sich im Rahmen der bisherigen – bei Inkrafttreten des Gemeinschaftsrechts im betreffenden Staat zugelassenen – Rahmen bewegt. Das gilt nicht nur für solche Ausschlusstatbestände, die bereits bei Inkrafttreten der RL im betreffenden Staat zugelassen worden sind, sondern auch für nach Art. 27 der 6. EG-RL/Art. 177 MwStSystRL genehmigte Ausnahmen.
Ob der bisherige Rahmen eingehalten worden ist, hat – so ausdrücklich der EuGH – das nationale Gericht zu prüfen, das dabei auch sein innerstaatliches Recht so weit wie möglich richtlinienkonform auslegen muss, um die mit der RL angestrebten Ergebnisse zu erreichen. Es muss deshalb die diesem Zweck am besten entsprechende Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften wählen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Rs. C-414/07 – Magoora sp. z. o. o. –