8.1 Eingabefehler nach intensiver Prüfung: Finanzamt kann sich nicht auf eine offenbare Unrichtigkeit berufen
BFH, Urteil v. 10.12.2019, IX R 23/18
Die Frage, ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls und somit insbesondere nach der Aktenlage. Dabei sind im Rahmen der Gesamtwürdigung alle Beweisanzeichen heranzuziehen. Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des Finanzamts.
Waren mit einem Fall verschiedene Personen befasst bzw. wurde mehrfach eine inhaltliche Prüfung vorgenommen (im Streitfall: "6-Augen-Prinzip"), dürfte im Regelfall nicht auszuschließen sein, dass auch eine rechtliche Überprüfung stattgefunden hat. Wurde bei der maschinellen Veranlagung ein Prüfhinweis ausgeworfen und damit eine Prüfung im Rahmen der manuellen Veranlagung angeordnet, dürfte grundsätzlich davon auszugehen sein, dass der Bearbeiter – der Anordnung folgend – eine tatsächliche und rechtliche Prüfung vorgenommen hat, auch wenn er die betreffende Kennziffer lediglich "abgehakt" hat. Eine Berichtigung nach § 129 AO ist dann ausgeschlossen.
8.2 Gewerbeverlust: Unternehmensidentität darf nicht unterbrochen werden
BFH, Urteil v. 30.10.2019, IV R 59/16
Für die personelle Verflechtung ist entscheidend, dass die Geschicke des Besitzunternehmens in den wesentlichen Fragen (Nutzungsüberlassung der wesentlichen Betriebsgrundlagen) durch die Person oder Personen bestimmt werden, die auch hinter dem Betriebsunternehmen stehen. Gleiches gilt, wenn dies durch das Betriebsunternehmen selbst geschieht. Eine personelle Verflechtung wäre somit bereits dann gegeben, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag der K-KG deren Gesellschafter über den Abschluss und die Beendigung des Pachtvertrags hinsichtlich des Fabrikgrundstücks mit der Stimmenmehrheit nach Anteilen am Kapital entscheiden.
Sollte sich dagegen ergeben, dass keine Betriebsaufspaltung vorlag, bleibt zu prüfen, ob die mit Ablauf des 30.6.2006 (Aufhebung des Pachtvertrags) bei der K-KG eingetretenen Änderungen so wesentlich waren, dass die ab dem 1.7.2006 ausgeübte Tätigkeit nicht mehr mit der ab dem 1.7.2005 bis 30.6.2006 (Verpachtungsunternehmen) ausgeübten wirtschaftlich identisch war.
8.3 Keine gesonderte und einheitliche Feststellung bei Anwachsung von Gesellschaftsanteilen an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft
Ein Fall der gesonderten und einheitlichen Feststellung liegt nur vor, wenn die Teilakte des Veräußerungsgeschäfts – Anschaffung und Veräußerung – gemeinsam in der Einheit der Gesellschaft verwirklicht werden. Im Streitfall fehlt es an einem entsprechenden "Anschaffungsgeschäft", da die Gesellschafter – wie sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt – den Anwachsungserwerb jeweils einzeln und nicht in der Einheit der Gesellschaft verwirklicht haben. Dem steht § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG (Anschaffung/Veräußerung einer Beteiligung als Anschaffung/Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter) nicht entgegen. Denn der Vorgang, der nur über die Fiktions- oder Zurechnungsnorm zur Annahme eines Anschaffungs-/Veräußerungsgeschäfts führt, wird nicht gemeinsam in der Einheit der Gesellschaft, sondern individuell durch den Gesellschafter verwirklicht.
8.4 Kleinunternehmer und Regelbesteuerung: Im Zweifel muss das Finanzamt fragen
FG Münster, Urteil v. 7.11.2019, 5 K 1768/19 U
Beim BFH ist insoweit die Revision anhängig, Az. beim BFH XI R 34/19. Betroffene sollten sich auf dieses Verfahren berufen und ein Ruhen ihres eigenen Falls beantragen. Zum 1.1.2020 wurde durch das "Dritte Bürokratieentlastungsgesetz" für Kleinunternehmer die Vorjahres-Umsatzgrenze von 17.500 EUR auf 22.000 EUR angehoben. Kleinunternehmer können also bereits im Jahr 2019 (= Vorjahr) einen Umsatz bis 22.000 EUR erzielen und im Jahre 2020 dennoch die Anwendung der Kleinunternehmerregelung wählen (bei einem voraussichtlichen Umsatz von max. 50.000 EUR für 2020).
8.5 Kleinunternehmergrenze bestimmt sich nach dem Gesamtumsatz
BFH, Urteil v. 23.10.2019, XI R 17/19 (XI R 7/16)
Dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH (BFH, Vorlagebeschluss v. 7.2.2018, XI R 7/16, BFH/NV 2018 S. 913) war zu entnehmen, dass der BFH der Auslegung zuneigte, dass auf die Handelsspanne abzustellen sei. Dieser Auffassung ist der EuGH nicht gefolgt. Die Verwaltungsregelung in Abschn. 19.3 Abs. 1 Satz 5 UStAE wurde damit bestätigt.
Die Besteuerung von Reiseleistungen nach der Marge (§ 25 UStG) entspricht systematisch der Differenzbesteuerung des Handels mit Gebrauchtgegenständen (§ 25a UStG). Die Überlegungen des EuGH gelten daher ebenso für die Besteuerung von Reiseleistungen.
8.6 Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz
BFH, Urteil v. 20.11.2019, XI R 46/17
Der BFH entscheidet die Frage im Sinne der überwiegenden Schrifttumsmeinung. Damit schließt sich der BFH der von der Verwaltung in R 6.11 Abs. 3 Satz 1 EStR vertretenen Rechtsauffassung an. Entsprechende Gewinnauswirkungen aus der erstmaligen Anwendung des BilMoG können durch Bildung einer gewinnmindernden Rücklage über einen Auflösungszeitraum von 15 Jahren abgemildert werden (R 6.11 Abs. 3 Satz 2 EStR).
8.7 Processing-Leistungen eines Unternehmens gegenüber einer Bank sind nicht steuerfrei
FG Köln, Urteil v. 4.1.2019, 3 K 1250/13
Das Revisionsverfahren ist zwischenzeitlich anhängig, Az. beim BFH V R 4/19. Nun muss der BFH entscheiden, ob sog. Processing-Leistungen für Kreditkartenumsätze tatsächlich umsatzsteuerpflichtig sind. Dabei ist zu beachten, dass der EuGH, Urteil v. 3.10.2019, C-42/18 (Cardpoint) den Betrieb von Geldautomaten ("outgesourcte Bankdienstleistung") bereits ...