9.1 DSGVO: Besteht ein allumfassendes Recht auf Akteneinsicht?
Thüringer FG, Urteil v. 22.2.2022, 4 K 660/20
Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit der größeren Frage, ob sich aus den "neuen" Bestimmungen der DSGVO – und den Bestimmungen der AO, in denen diese EU-Verordnung in nationales Recht umgesetzt wurde – ein allumfassendes Recht auf Akteneinsicht auch im steuerlichen Verwaltungsverfahren ergibt oder nicht.
Bis zum Ergehen der DSGVO war es herrschende Meinung, dass es ein allgemeines Recht auf Einsicht in die Akten des Finanzamts und auf Überlassung der Akten nicht gab. Wohl hat der Steuerpflichtige einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung dahingehend, ob der Steuerpflichtige Akteneinsicht erhält oder nicht. Bei der Ermessensentscheidung dahingehend, ob Einsicht im Einzelfall gewährt wird, ist insbesondere das Steuergeheimnis zu beachten
Erst in späteren Verfahrensabschnitten, insbesondere beim Finanzgericht, besteht dann nach § 78 FGO ein Akteneinsichtsrecht. Seit dem Ergehen der DSGVO ist umstritten, ob nunmehr ein allgemeines Akteneinsichtsrecht besteht oder nicht. Weiter ist umstritten, ob Unterlagen überlassen werden müssen oder nicht. Alles dies wird kontrovers diskutiert.
Die hier zu besprechende Entscheidung ist nur eine von vielen, in denen Teilaspekte diskutiert werden. Dabei hat das Finanzgericht offenbar zutreffend entschieden, dass zumindest kein Anspruch besteht, alle Akten kostenfrei überlassen zu bekommen.
Das Finanzgericht ließ die Revision zum BFH zu. Dieser wird dann sicherlich über die Vielzahl von Fragestellungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der DSGVO in das steuerliche Verwaltungsverfahren zu entscheiden haben.
9.2 Kurzfristige Beherbergung von Erntehelfern in Wohncontainern: Gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz?
BFH, Urteil v. 29.11.2022, XI R 13/20
Das Finanzamt hatte eingewandt, der Gesetzgeber habe ausschließlich die Überlassung von Räumen in Gebäuden dem ermäßigten Steuersatz unterwerfen wollen. Etwas anderes ergebe sich nicht aus dem Unionsrecht. Denn Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 2 (i. V. m. Anhang III Nr. 12) MwStSystRL sowie Art. 43 MwSt-DVO beträfen nur Hotels und ähnliche Einrichtungen einschließlich Ferienunterkünfte. An Erntehelfer vermietete Wohncontainer würden davon nicht umfasst. Dem stellt der BFH ein weites Verständnis des unionsrechtlichen Begriffs der "Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen" entgegen. Danach betrifft § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur kurzfristigen Beherbergung.
9.3 Photovoltaikanlage: Steuerentstehung und Steuerberichtigung bei späterer Vereinnahmung des Entgelts
BFH, Beschluss v. 28.9.2022, XI R 28/20
Zum Teil wird vertreten, im Wege der verfassungskonformen Auslegung des nationalen Rechts müsse eine (teilweise) Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auch bei einer langfristig vereinbarten Ratenzahlung angenommen werden. Das erforderten die nationalen Grundrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip des GG, die aufgrund des durch Art. 66 MwStSystRL den Mitgliedstaaten eröffneten Umsetzungsspielraums anwendbar seien. Der BFH teilt nicht diese Auffassung. Denn wenn der EuGH die aufgrund der Soll-Besteuerung (Art. 63 MwStSystRL) bestehende Pflicht der Steuerpflichtigen zur Vorfinanzierung der Steuer nicht als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze beanstandet (EuGH-Urteil X-Beteiligungsgesellschaft, EU:C:2021:880, Rz. 51 ff., 61), spricht nichts für eine Abkehr von den bewussten Entscheidungen des Unionsgesetzgebers und des nationalen Gesetzgebers.
Die Entscheidung erging nicht – wie üblich – durch Urteil, sondern durch Beschluss nach § 126a FGO ohne mündliche Verhandlung. Davon kann der BFH Gebrauch machen, wenn er einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass der BFH die Problematik in jeder Hinsicht für ausdiskutiert hält und sich auch von einer mündlichen Verhandlung keine neuen Aspekte versprochen hat.
9.4 Umsatztantiemen an Gesellschafter nur in bestimmten Fällen steuerlich anerkannt
FG Nürnberg, Urteil v. 19.7.2022, 1 K 1489/20
Das FG hat die Revision zugelassen, welche mittlerweile auch eingelegt worden ist, Az beim BFH I R 36/22). Vergleichbare Streitfälle sollten mit Einspruch offen gehalten werden, bis der BFH über die Rechtsfolgen von Umsatztantiemen bei Minderheitsaktionären entschieden hat.