8.1 Begrenzung der rückwirkenden Auszahlung von Kindergeld: Auch für Zeiträume vor dem 18.7.2019?
BFH, Urteil v. 25.4.2024, III R 27/22
Die Anwendung der 6-Monatsfrist spielt in der Praxis weiterhin eine Rolle. Geklärt sein dürfte die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. In den Urteilsgründen der BFH-Entscheidung in der Rechtssache III R 27/22 befindet sich der interessante Hinweis, dass es bei Anwendung der 6-Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG allein auf die Antragstellung ankomme. Eine Beibringung von z. B. Ausbildungsnachweisen könne später erfolgen.
Kommt festgesetztes Kindergeld wegen der Ausschlussfrist nicht zur Auszahlung, gilt es zu beachten, dass Freibeträge für Kinder für diese Zeiträume ohne Gegenrechnung von Kindergeld gleichwohl gewährt werden. In der Anlage Kind ist für Zeiträume, für die die Auszahlungsbeschränkung gilt, kein Kindergeldanspruch einzutragen. Hierauf weisen auch die Erläuterungen zur Anlage Kind ausdrücklich hin (Erläuterungen zu Zeile 4 bis 9).
Aus dem Erklärungsvordruck ergibt sich dies nicht eindeutig. Genauer wäre, wenn in der Zeile 6 der Anlage Kind vermerkt wäre, dass der Anspruch auf Kindergeld, der ausgezahlt wurde, einzutragen ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich dies mit den Erklärungsvordrucken 2024 ändert.
8.2 Recht auf Einsicht in Steuerakten?
BFH, Urteil v. 7.5.2024, IX R 21/22
Die AO enthält – anders als z. B. § 29 VwVfG – keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Ein solches Einsichtsrecht ist weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO abzuleiten. Allerdings steht dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Finanzbehörde zu, weil diese nicht gehindert ist, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren. Grundlage dieses Anspruchs ist das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. dem Prozessgrundrecht nach Art. 19 Abs. 4 GG.
Nach Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Ist dies der Fall, bestimmt Halbsatz 2 der Vorschrift, dass die Person Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf die in Buchst. a bis h genannten Informationen hat.
Nach § 32c Abs. 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO besteht keine Informationspflicht und folglich dessen kein Auskunftsrecht, wenn u. a. die Daten nach § 30 AO geheim gehalten werden müssen und deswegen das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung (am Auskunftsrecht) zurücktreten muss.
8.3 Solidarverein: Beiträge als Sonderausgaben abzugsfähig?
FG Münster, Gerichtsbescheid v. 1.3.2024, 11 K 820/19 E
Das FG hat zwar die Revision zugelassen, jedoch haben weder das Finanzamt noch die Steuerpflichtigen Revision eingelegt. Denn das FG hat den aufgrund der vertraglichen Gegebenheiten möglichen Sonderausgabenabzug der Beiträge zur Absicherung im Krankheitsfall umfangreich und rechtlich fundiert begründet und auch den Sonderausgabenabzug der Beiträge zur Absicherung von Pflegeaufwendungen zutreffend verneint.
8.4 Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastungen: Was zählt zum Schonvermögen und was nicht?
BFH, Urteil v. 29.2.2024, VI R 21/21
Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, wird nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr 2019 geltenden Fassung auf Antrag die Einkommensteuer – unter bestimmten Voraussetzungen – dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 9.168 EUR im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Voraussetzung ist u. a., dass weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld für die unterhaltene Person hat und die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt.