7.1 Beteiligung an Karussellbetrug: Was passiert mit dem Vorsteuerabzug?
FG Münster, Urteil v. 4.6.2020, 5 K 694/17 U
Die Entscheidung über den Vorsteuerabzug in solchen bzw. ähnlichen Sachverhalten hängt stark vom konkreten Einzelfall und insbesondere von den Ermittlungsergebnissen der i. d. R. eingeschalteten Steuerfahndung ab. Nach der jüngeren BFH-Rechtsprechung kann einem Unternehmer in der Lieferkette der Vorsteuerabzug (oder z.B. die Steuerbefreiung für grenzüberschreitende Lieferungen) aufgrund eines Steuerbetrugs einer anderen Person in der Lieferkette nur dann versagt werden, wenn dem betreffenden Unternehmer ein Umsatzsteuerbetrug tatsächlich nachgewiesen wurde.
Das bloße Nichtabführen von Umsatzsteuer reicht gerade nicht aus, um von einem Steuerbetrug ausgehen zu können. Die Feststellungslast trägt insoweit das Finanzamt. Im Zusammenhang mit der Versagung des Vorsteuerabzugs wegen Betrugs in einer Lieferkette hat sich das FG Berlin-Brandenburg an den EuGH (Az beim EuGH C-108/20) gewandt (FG-Berlin Brandenburg, Beschluss v. 5.2.2020, 5 K 5311/16). Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob eine Bösgläubigkeit für die Versagung des Vorsteuerabzugs ausreicht oder ob ein eigener Beitrag zur Steuerhinterziehung in der Kette erbracht werden muss.
7.2 Steuererklärung: Wann entfällt die Pflicht zur elektronischen Abgabe?
BFH, Urteil v. 16.6.2020, VIII R 29/19
In der teilweise inhaltsgleichen Parallelenscheidung v. 16.6.2020, VIII R 29/17 stellt der BFH klar, dass die Befreiung von der elektronischen Erklärungsabgabe nur für den jeweiligen Veranlagungszeitraum, also nicht für spätere Jahre, erteilt werden kann. Es sind daher immer die Gewinneinkünfte, die im jeweiligen Veranlagungszeitraum erzielt wurden, mit dem erforderlichen technischen Aufwand in Beziehung zu setzen. Für die Anlage EÜR enthält § 60 Abs. 4 EStDV die entsprechende Pflicht.
Wichtig erscheint der Hinweis des BFH, dass für die Anwendung der Härtefallregelung lediglich auf die Höhe der Gewinneinkünfte abzustellen ist. Die finanzielle Situation im Übrigen bleibt außen vor.
7.3 Steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze: Muss die Vorsteuer aufgeteilt werden?
FG Münster, Gerichtsbescheid v. 4.5.2020, 5 K 546/17 U
Die Revision wurde zugelassen, da der BFH bislang – soweit ersichtlich – nur zu Fällen geurteilt hat, in denen der Betrieb des Unternehmens bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingestellt worden war. Das FG Münster, Urteil v. 15.9.2020, 15 K 827/18 U hat zur Vorsteueraufteilung eines insolventen Immobilienunternehmens mit steuerfreien und steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen entschieden.
7.4 Steuerhinterziehung: Kann der Vorsteuerabzug bei Fahrlässigkeit versagt werden?
FG Baden-Württemberg, Urteil v. 4.6.2020, 1 K 2492/19
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, Az beim BFH XI R 19/20. Für nach dem 31.12.2019 endende Besteuerungszeiträume (hier nicht vorliegend) ist die Versagung des Vorsteuerabzugs insoweit nunmehr gesetzlich in § 25f Abs. 1 UStG i. V. m. § 27 Abs. 30 UStG normiert. Der bisherige § 25d UStG (Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer) wird infolge aufgehoben.
7.5 Wann Zahlungen für die Vollzeitpflege eines Kindes steuerfrei sind
FG Düsseldorf, Urteil v. 28.3.2019, 12 K 3393/18 E
Die Streitfrage, ob auch in einem solchen Fall noch davon ausgegangen werden kann, dass die Pflegeeltern ihr Honorar letztlich aus öffentlichen Mitteln erhalten (da nur dann die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 11 EStG greift), ist zumindest zweifelhaft und bislang höchstrichterlich auch noch nicht entschieden. Der BFH hat jedoch aufgrund der eingelegten und anhängigen Revision, Az beim BFH VIII R 37/19, Gelegenheit, die Rechtsfrage demnächst abschließend zu klären.
7.6 Zur Gewerblichkeit von freiberuflichen Ober- und Unter-Personengesellschaften
BFH, Urteil v. 4.8.2020, VIII R 24/17
Für die Anerkennung einer doppelstöckigen Freiberufler-Personengesellschaft müssen sämtliche Untergesellschafter und ebenso die Obergesellschafter die Merkmale der Freiberuflichkeit erfüllen. Das bedeutet, dass jeder Obergesellschafter in jeder Untergesellschaft eigenverantwortlich leitend tätig sein muss. Wird ein Gesellschafter, obwohl er Berufsträger ist, nicht freiberuflich, sondern lediglich im Rahmen der Holding organisatorisch tätig, ist er "berufsfremd" mit der Folge, dass nicht nur die Obergesellschaft, sondern auch die Untergesellschaft die Freiberuflichkeit verliert. Die mittelbare Beteiligung eines berufsfremden Gesellschafters ist nur dann unschädlich, wenn entweder die Obergesellschaft nicht Mitunternehmerin der Untergesellschaft oder der Berufsfremde nicht Mitunternehmer der Obergesellschaft ist.