8.1 Besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach: Folgen der Nichtnutzung
BFH, Beschluss v. 28.4.2023, XI B 101/22
Die Entscheidung betont zum einen die ab 1.1.2023 für Steuerberater geltende Pflicht zur Nutzung des beSt für die Einreichung von Schriftsätzen und Dokumenten im finanzgerichtlichen Verfahren (FG und BFH). Für Rechtsanwälte gilt die Nutzungspflicht des beA schon seit 1.1.2022. Bei Doppelzulassung ist entscheidend, ob der Prozessbevollmächtigte gegenüber dem FG als Rechtsanwalt oder als Steuerberater auftritt, d. h. in welcher Eigenschaft er unterzeichnet.
Zum anderen weist der BFH auf die strengen Wiedereinsetzungsvoraussetzungen hin, und zwar auch hinsichtlich der Darlegung der Hinderungsgründe. A hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen er nicht von der "fast Lane" Gebrauch gemacht hat.
8.2 Dachreparatur nach Montage einer Photovoltaikanlage: Ist ein Vorsteuerabzug möglich?
BFH, Urteil v. 7.12.2022, XI R 16/21
Dass das Wohnhaus des X einschließlich des Dachs sich in dessen Privatvermögen befindet, steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. Denn die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen bestimmt nur die Anwendung des Mehrwertsteuersystems auf den Gegenstand selbst und nicht auf Gegenstände und Dienstleistungen für seine Nutzung und Wartung. Das Recht auf Abzug der Vorsteuer für diese Gegenstände und Dienstleistungen ist eine gesonderte Frage, die von dem Zusammenhang zwischen diesen Gegenständen und Dienstleistungen und den besteuerten Umsätzen abhängt. Deshalb bejaht z. B. Abschn. 15.2c Abs. 3 Satz 3 UStAE den Vorsteuerabzug aus Reparaturaufwendungen infolge eines Unfalls während einer unternehmerisch veranlassten Fahrt mit einem privaten Kfz.
8.3 Können Betriebsstättenverluste in einem EU-Mitgliedstaat berücksichtigt werden?
BFH, Urteil v. 22.2.2023, I R 35/22 (I r 32/18)
Der von X erlittene Auslandsverlust ist in Deutschland nicht nutzbar. Denn nach dem DBA-GB unterliegen Betriebsstätteneinkünfte aus GB nicht der deutschen Besteuerung. Entscheidend ist dabei die sog. Symmetriethese, nach der die abkommensrechtliche Steuerfreistellung ausländischer Einkünfte sowohl positive als auch negative Einkünfte umfasst.
Ursprünglich gingen der EuGH und der BFH davon aus, dass wegen der Niederlassungsfreiheit ein Verlustabzug möglich ist, wenn und soweit die Verluste im ausländischen Betriebsstättenstaat endgültig ("final") sind (EuGH, Urteil "Lidl Belgium" v. 15.5.2008, C-414/06, BStBl 2009 II S. 692; BFH, Urteil v. 5.2.2014, I R 48/11, BFH/NV 2014 S. 963). Das EuGH-Urteil "Timac Agro Deutschland" v. 17.12.2015, C-388/14, war sodann vom BFH als Aufgabe dieser Rechtsprechung verstanden worden (BFH, Urteil v. 22.2.2017, I R 2/15, BStBl 2017 II S. 209). Mit dem Urteil "W" v. 22.9.2022, C-538/20, hat der EuGH nachfolgend sein Urteil "Timac Agro Deutschland" (und damit im Ergebnis die Aufgabe der früheren Rechtsprechung) bestätigt.
Es handelt sich um die Nachfolgeentscheidung zu dem EuGH-Urteil "W" v. 22.9.2022, C-538/20 (EU:C:2022:717, BFH/NV 2022 S. 1279).
8.4 Wann kann das Kleinbeteiligtenprivileg bei koordinierter Finanzierung durch mehrere Gesellschafter wegfallen?
BGH, Urteil v. 26.1.2023, IX ZR 85/21
Rückzahlungsansprüche aus Gesellschafterdarlehen nicht geschäftsführender Gesellschafter, die mit 10 % oder weniger am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt sind, genießen grundsätzlich das sogenannte Kleinbeteiligtenprivileg. Sie werden in der Insolvenz der Gesellschaft ausnahmsweise nicht als nachrangige Insolvenzgläubiger nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO behandelt und sind auch von einer möglichen Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO ausgenommen.
Der BGH hat mit dem Kriterium der überschießenden unternehmerischen Verantwortung nunmehr seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2005 konkretisiert. Er hat damit die zuvor in der Rechtsprechung noch offen gebliebene Voraussetzung benannt, die bei einer koordinierten Finanzierung zur Zusammenrechnung der Beteiligungen der einzelnen Gesellschafter führen kann, mit der Folge, dass dann die Anwendung des Kleinbeteiligungsprivilegs auch für solche nicht geschäftsführenden Gesellschafter ausscheidet, die lediglich mit maximal 10 % am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt sind. Der BGH hebt jedoch selbst hervor, dass zur Beurteilung nach wie vor die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend bleiben.
8.5 Zugang eines Steuerbescheids außerhalb des 3-Tageszeitraums muss glaubhaft gemacht werden
FG München, Urteil v. 30.3.2022, 12 K 758/20