9.1 Ausgangskontrolle von fristwahrenden Schriftsätzen: Steuerberater hat Organisationspflicht
FG Köln, Urteil v. 23.2.2023, 11 K 378/22
Eine ordnungsgemäße Büroorganisation erfordert u. a., dass der Ausgang eines fristwahrenden Schriftstücks nicht dokumentiert wird, solange die zur Absendung erforderlichen Arbeitsschritte nicht vollständig erledigt sind und eine Frist daher nicht vorher gelöscht wird. Es ist ferner Vorsorge dafür zu treffen, dass versehentlich gelöschte Fristen erkannt werden. Hierfür bedarf es der Anordnung des verantwortlichen Berufsträgers, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird.
Deshalb ist z. B. eine Bürokraft anzuweisen, ggf. anhand der Akten zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt wurden. Diese "allabendliche Ausgangskontrolle" dient dabei ausdrücklich nicht nur dem Zweck, noch im Fristenbuch unerledigt gebliebene Fristsachen aufzufinden, sondern auch der Prüfung, ob bei bereits als erledigt vermerkten Fristsachen die fristwahrende Handlung noch aussteht. Eine derartige Prüfung ist deswegen erforderlich, weil es selbst bei ordnungsgemäßen Organisationsabläufen zu individuellen Fehlern kommen kann, die es nach Möglichkeit zu entdecken und beheben gilt.
9.2 Betriebsveräußerung und Anforderungen an den Nachweis der dauernden Berufsunfähigkeit
BFH, Urteil v. 14.12.2022, X R 10/21
Der BFH hatte in 2010 seine Rechtsprechung, wonach Aufwendungen nach § 33 EStG (Krankheitskosten) nur aufgrund eines formalisierten Nachweises (amts- oder vertrauensärztliches Gutachten oder Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers) anzuerkennen seien, aufgegeben, da sich ein formalisiertes Nachweisverlangen nicht aus dem Gesetz ergebe und dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung widerspreche. Allerdings nahm der Gesetzgeber dieses Urteil zum Anlass, in § 33 Abs. 4 EStG erstmalig eine Ermächtigungsgrundlage für ein formalisiertes Nachweisverlangen zu schaffen. Die bisherige Verwaltungsanweisung des R 33.4 EStR 2008 wurde in § 64 EStDV gesetzlich festgeschrieben. Diese Sonderregelung ist auf § 16 Abs. 4 EStG nicht übertragbar.
9.3 "Dinner-Shows" mit Menü und Unterhaltung: Welcher Umsatzsteuersatz gilt?
Sächsisches FG, Urteil v. 6.12.2022, 1 K 281/22
Aufgrund der Corona-Steuerhilfegesetze gilt für Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistungen für den Zeitraum 1.7.2020 bis 31.12.2023 der ermäßigte Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG). Dies soll die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gastronomiebranche, Cateringunternehmen usw. abmildern, soweit sie mit der Abgabe verzehrfertig zubereiteter Speisen bislang Umsätze zum normalen Umsatzsteuersatz erbracht hatten. Gerade Dinner-Shows sind von den Corona-Hygiene- und Abstandsvorschriften und der Schließung der Betriebe zumindest ebenso betroffen wie Restaurants. Da für die Unterhaltungsleistungen allein generell der ermäßigte Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG) gilt, stellt die Anwendung des Regelsteuersatzes für die einheitlichen komplexen Dinner-Shows für den Zeitraum 1.7.2020 bis 31.12.2023 zumindest einen Wertungswiderspruch zu der genannten gesetzlichen (Einzel)Regelung dar.
Das praxisnahe Urteil des FG verhindert insoweit die von der Verwaltung gerne praktizierte formalistische Auslegung des Umsatzsteuergesetzes. Zu beachten ist jedoch, dass nach Auslaufen der Coronaregelungen für Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistungen dann wieder der Regelsteuersatz für die einheitliche, komplexe Dinner-Show-Leistung gilt.
9.4 Ermäßigter Steuersatz bei Betriebsveräußerung: Kann der Antrag zurückgenommen werden?
BFH, Urteil v. 20.4.2023, III R 25/22
Auf Antrag kann der Veräußerungsgewinn mit einem ermäßigten Steuersatz versteuert werden (§ 34 Abs. 3 EStG). Voraussetzung für den Antrag ist, dass der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat bzw. sozialversicherungsrechtlich dauernd berufsunfähig ist. Zudem kann der ermäßigte Steuersatz nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden. Fraglich war im Urteilsfall, ob ein Antrag auf ermäßigte Besteuerung zurückgenommen werden kann, um diesen in einem anderen Veranlagungszeitraum erneut auszuüben.
Der BFH hat mit der aktuellen Entscheidung bestätigt, dass eine Änderung des Antrags-/Wahlrechts ausscheidet, wenn ihre Auswirkungen über den Änderungsrahmen des § 351 Abs. 1 AO hinausgehen. Etwas anderes ergab sich im Urteilsfall auch nicht daraus, dass der Grundlagenbescheid eine Anpassung des Folgebescheids gerade auch im Hinblick auf die Höhe des Veräußerungsgewinns verlangte. Zwar hatte der BFH diese Frage in seinem Urteil v. 9.12.2015, X R 56/13, BStBl 2016 II S. 967 (Rz .29), noch ausdrücklich offengelassen. Nach Auffassung des III. Senats ändert aber die Tatsache, dass die Änderung des Veräußerungsgewinns auch Grund für die Änderung des Einkommensteuerbescheids war, nichts an der Anwendbarkeit des § 351 Abs. 1 AO und des § 177 AO. Die Bindungswirkung entfällt auch hier nur im Umfang der Durchbrechung.
9.5 Gilt für Werbelebensmittel der ermäßigte Umsatzsteuersatz?
BFH, Urteil v. 23.2.2023, V R 38/21
Das FG muss zunächst zu prüfen, ob die Verpackungen wie das Packgut einzureihen sind. Dabei entfällt die maßgebliche Üblichkeit der Verpackung nicht zwingend durch einen Werbeaufdruck. Sodann sind zur Tarifierung die Werbeleb...