8.1 Bauabzugsteuer: Inaktive ausländische Domizilgesellschaft
BFH, Urteil v. 9.6.2022, IV R 4/20
Nach dem BMF-Schreiben v. 19.07.2022, BStBl 2022 I S.1229, Tz. 23, 24, ist der Steuerabzug vom Leistungsempfänger unabhängig davon durchzuführen, ob der Leistende im Inland oder im Ausland ansässig ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Leistende überwiegend Bauleistungen erbringt. Als Leistender gilt auch derjenige, der über eine Leistung abrechnet, ohne sie selbst erbracht zu haben (Tz 24).
Der BFH lässt offen, ob und inwieweit § 42 AO neben § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG anwendbar ist. Z. T wird vertreten, die Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG sei unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmissbrauchs bedenklich, wenn der Bauleistungsempfänger § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG "instrumentalisiere" und sich den Abzug entgegen § 160 AO im Zusammenwirken mit einer formal als Subunternehmer eingeschalteten Domizilgesellschaft rechtsmissbräuchlich erschleiche. Im Streitfall lagen insoweit keine Anhaltspunkte vor.
8.2 Stellt die Einlagerung eingefrorener Eizellen eine Heilbehandlung dar?
BFH, Beschluss v. 7.7.2022, V R 10/20
Soweit das FA geltend macht, dass die Leistungen der GbR nur unter § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, nicht aber unter Buchst. a fallen könnten, lässt es die geänderte Rechtsprechung des BFH außer Betracht. Danach können medizinische Analysen eines Facharztes für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik nicht nur nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, sondern auch nach Buchst. a Satz 1 steuerfrei sein.
Dem Einwand, dass die bloße Lagerung im Zusammenhang mit der erforderlichen medizinischen Indikation nicht den Charakter einer Heilbehandlung haben könne, ist im Hinblick auf das Vorliegen eines therapeutischen Kontinuums nicht zu folgen. Nach diesem Kriterium ist z. B. die Abgabe von Arzneimitteln im Rahmen einer ambulanten Krebsbehandlung für diese unerlässlich und damit wie diese steuerfrei, da diese ärztliche Leistung ohne diese Medikamentenabgabe sinnlos wäre. Mit der Einlagerung wird ein therapeutischer Zweck verfolgt (vorgehende oder sich anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung).
Dass es sich bei der Fruchtbarkeitsbehandlung (MVZ) und der Einlagerung (GbR) um Leistungen zweier Unternehmer handelt, ist im Rahmen dieses Kontinuums jedenfalls dann unerheblich, wenn für die beiden Unternehmer (wie im Streitfall) dieselben Personen tätig sind. Die Lagerung unterscheidet sich zudem nicht von anderen Leistungen, die im Rahmen eines therapeutischen Kontinuums (z. B. von einem Laborarzt) als einem gegenüber dem behandelnden Arzt eigenständigen Unternehmer erbracht werden.
8.3 Umsatzsteuer: Fahrzeugüberlassung gegen Arbeitsleistung als tauschähnlicher Umsatz
BFH, Urteil v. 30.6.2022, V R 25/21
Der BFH stellt klar, dass die einkommensteuerrechtliche Beurteilung geldwerter Vorteile grundsätzlich unerheblich ist für die umsatzsteuerrechtliche Frage des unmittelbaren Zusammenhangs. Ferner bringt die Entscheidung die Klarstellung, dass bei wirtschaftlicher Realität die Nutzungsmöglichkeit für Privatzwecke ein wesentliches Moment des Dienstverhältnisses ist und damit ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis besteht. Ob eine faktische betriebliche Übung für die Annahme einer Vergütung ausreicht, lässt der BFH ausdrücklich offen.
8.4 Unzulässigkeit einer per Telefax erhobenen Anhörungsrüge
BFH, Beschluss v. 23.8.2022, VIII S 3/22
Die Bundessteuerberaterkammer richtet über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (sog. beSt) empfangsbereit ein (§ 86d StBerG). Die Regelung gilt erst ab 1.1.2023 (§ 157e StBerG). Ab diesem Zeitpunkt sind auch Steuerberater nutzungspflichtig.
Fraglich ist, was für einen Steuerberater gilt, der zugleich eine Zulassung als Rechtsanwalt besitzt und damit bereits ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (sog. beA) zu unterhalten hat. Nach der Auffassung des BFH gilt in diesem Fall die Nutzungspflicht des beA ab 1.1.2022, wenn der Prozessbevollmächtigte in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt unterzeichnet (BFH, Beschluss v. 27.4.2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022 S. 1057). Z. T wird vertreten, das gelte auch bereits, wenn der Bevollmächtigte unter beiden Berufsbezeichnungen unterzeichnet (Schallmoser in HHSp, § 52d FGO Rz 15).
8.5 Zur Haftung für Verbindlichkeiten nach Beendigung des Insolvenzverfahrens
FG Düsseldorf, Urteil v. 13.7.2022, 4 K 1280/21 AO
Die Entscheidung ist aus der Sicht des Klägers als misslich anzusehen, sie war aber vermutlich vorhersehbar. Der BFH hat entschieden, dass Masseverbindlichkeiten von der Restschuldbefreiung nicht erfasst sind (BFH, Urteil v. 28.11.2017, VII R 1/16). Das Urteil ist zwar zur Einkommensteuer ergangen, die Rechtsprechung soll aber offenbar allgemein für Steuerverbindlichkeiten gelten. Der BFH beruft sich hierbei auf den klaren Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen. Die Entscheidung, dass für nicht erfüllte Masseverbindlichkeiten keine Restschuldbefreiung gewährt wird, ist dabei aus Sicht des Insolvenzschuldners natürlich bedauerlich, da diesem doch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ein vollständiger Neustart zugestanden werden soll. Durch die Rechtsprechung des BFH schleppt er jedoch Schulden mit in diesen Neustart.
Besonders misslich ist hierbei, dass diese aus Vorgängen resultieren, auf die er keinen Einfluss hat, sondern die vom Insolvenzverwalter veru...