8.1 Entsorgung von Problemmüll: Liegt eine Dienstleistung oder eine Lieferung vor?
BFH, Urteil v. 18.4.2024, V R 7/22
Die Sache war nach Ansicht des BFH auch spruchreif. Das FG hat rechtsfehlerhaft die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin durch die Entsorgung gefährlicher Abfälle i. S. d. KrWG erbrachten sonstigen Leistungen um einen Wert für die gefährlichen Abfälle erhöht. Liegen aber keine Lieferungen an die Klägerin vor, ist das Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben.
8.2 Gewerbliche Infektion: Mieteinnahmen können auch bei Verlusten aus einer Beteiligung gewerblich sein
BFH, Urteil v. 11.7.2024, IV R 18/22
Die Rezensionsentscheidung führt die bisherige Auffassung der Rechtsprechung fort und konkretisiert diese dadurch, dass eine Aufwärtsinfektion selbst dann ausgelöst wird, wenn die gewerblichen Verluste einer Verlustabzugsbeschränkung nach § 15a EStG unterliegen.
Bei Anwendung der Seitwärtsinfektion wird von der Rechtsprechung eine Bagatellgrenze zugelassen. Danach erfolgt keine Umqualifizierung, wenn der Nettoumsatzerlös aus der gewerblichen Tätigkeit 3 % der Gesamterlöse der Gesellschaft und den Betrag von 24.500 EUR im VZ nicht übersteigt.
Bei Anwendung der Aufwärtsinfektion komme es nur darauf an, dass dem Grunde nach auch gewerbliche Beteiligungseinkünfte erzielt werden. Auf die Höhe komme es nicht an; unerheblich ist ferner, ob die Beteiligungseinkünfte positiv oder negativ sind oder 0 EUR betragen. Die Bagatellgrenze gilt nicht; dies sei verfassungsgemäß.
Trotz der vermeintlich eindeutigen BFH-Entscheidung sollten vergleichbare Verfahren zumindest mit negativen Beteiligungsverlusten wegen einem anhängigen Verfahren vor dem BVerfG offen gehalten werden (Az. des BVerfG: 2 BvR 2113/22). Die Auslösung der Abfärbung im Verlustfall hat der Gesetzgeber nämlich erst in 2019 mit steuerlicher Rückwirkung als Reaktion auf anderslautende BFH-Rechtsprechung (BFH, Urteil v. 12.8.2018, VI R 5/15, BStBl 2020 II S. 118) im EStG aufgenommen (§ 52 Abs. 23 Satz 1 EStG). Ob dies verfassungsgemäß ist, bleibt dem BVerfG vorbehalten.
Die steuerlichen Folgewirkungen aus einer Abfärbung sind vielfältig: So kommt § 23 EStG nicht zur Anwendung und es liegt steuerverstricktes Betriebsvermögen (insbesondere das Gebäude) vor. Andererseits eröffnet die Umqualifizierung die Möglichkeit der Bildung und Übertragung von Rücklagen nach § 6b EStG und evtl. die Anwendung des Betriebsvermögensprivilegs nach §§ 13a und 13b ErbStG.
Gestalterisch gilt Folgendes: Um die gewerbliche Infektion zu verhindern, sollte eine zweite personenidentische Gesellschaft gegründet werden.
8.3 6 % Zinsen bei Überentnahmen: Ist dieser Zinssatz verfassungsgemäß?
FG Düsseldorf, Urteil v. 27.3.2024, 15 K 1131/19 G,F
Die Revision ist beim BFH anhängig (Az. beim BFH IV R 8/24).
Der BFH hat eine Vorlage der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes in § 4 Abs. 4a EStG als "etwa erforderlich" eingestuft (BFH, Gerichtsbescheid v. 22.3.2022, IV R 19/19).
8.4 Steuerbescheid: Finanzamt muss den Zugang nachweisen
FG Münster, Urteil v. 19.4.2024, 4 K 870/21 E
Die Entscheidung hat Bedeutung in allen Fällen, in denen ein Dritter, also nicht der Steuerpflichtige, sich darauf berufen will, dass ein Verwaltungsakt nicht zugegangen ist.
Der Zugang hat hierbei vor allem Bedeutung für die Berechnung einer Rechtsbehelfsfrist. Ist kein Zugang erfolgt, läuft auch keine Frist (§ 355 AO). Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wird hierbei bei einer Versendung per Post eine Bekanntgabe im Inland 3 Tage (ab 2025 4 Tage) nach der Aufgabe zur Post vermutet. Diese Zugangsfiktion kann allerdings erschüttert werden, wenn Zweifel am Zugang bestehen. Ein Bestreiten des Zugangs kann hierbei auch durch einen Dritten erfolgen, dies ist die zentrale Aussage der Entscheidung.
Die Revision (Az. beim BFH VI R 16/24) wurde zugelassen, da bislang noch keine Entscheidung des BFH dazu vorliegt, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Dritter die fehlende Bekanntgabe eines Steuerbescheids geltend machen kann.
8.5 Unentgeltliche Übergabe des Betriebs in der Familie: Können nachträglich noch Kosten abgesetzt werden?
BFH, Urteil v. 6.5.2024, III R 7/22
Bei einer Betriebsveräußerung und einer Betriebsaufgabe ist der daraus resultierende Gewinn grundsätzlich unter Berücksichtigung eines Freibetrags (§ 16 Abs. 4 EStG) einkommensteuerpflichtig. Der steuerpflichtige Teil kann entweder nach der Fünftelungsregelung oder dem 56 %igen Durchschnittsteuersatz versteuert werden.
Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und der 56 %ige Steuersatz kommen nur einmal im Leben zur Anwendung und zwar bei Vollendung des 55. Lebensjahres oder bei Vorliegen einer dauerhaften Berufsunfähigkeit. Eine mehrfache Gewährung scheidet im Regelfall aus. Eine Ausnahme gilt bei antragsloser Gewährung. Das FG Köln hat hierzu entschieden, dass bei antragsloser Gewährung wegen falscher Auswertung einer Feststellungsmitteilung durch das Finanzamt mit nur geringem Veräußerungsgewinn und geringer steuerlicher Auswirkung und ohne Hinweis im Erläuterungsteil allenfalls nur ein anteiliger Verbrauch stattfindet (FG Köln, Urteil v. 20.3.2024, 9 K 926/22).