1 Arbeitsrecht
1.1 Bei Unterschlagung von Trinkgeld droht fristlose Kündigung
Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg v. 14.7.2022, 5 Ca 413/22.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
1.2 Beleidigungen reichen nicht immer für fristlose Kündigung
Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil v. 29.6.2022, 4 Sa 212/21
Eine Abmahnung hält das LAG Thüringen dann nicht für entbehrlich, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass Arbeitnehmenden aufgrund menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen der Blick für die Bedeutung ihrer Äußerungen verstellt gewesen sein könnte.
2 GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer
2.1 Zum Zufluss von Kapitalerträgen beim beherrschenden Gesellschafter einer ausländischen Kapitalgesellschaft
BFH, Urteil v. 14.2.2022, VIII R 32/19
Die Parallele zur deutschen Rechtslage geht nicht so weit, dass mit der Fälligkeit des Gewinnauszahlungsanspruchs und der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft in jedem Fall die Verfügungsbefugnis über die Ausschüttungsbeträge verbunden ist. Hinzukommen muss bei einer ausländischen Gesellschaft zusätzlich die Feststellung, dass nach dem ausländischen Recht keine Hindernisse bestehen, die der Verfügungsmacht des Gesellschafters entgegenstehen und einen Zufluss blockieren. Das FG hat insoweit als Tatsachengericht das ausländische Recht – ggf. durch einen Sachverständigen – aufzuklären.
2.2 Zur Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers
BFH, Urteil v. 5.4.2022, VII R 18/21
Der BFH bestätigt mit der Entscheidung die Anweisung in AEAO zu § 73 Nr. 3.2. Danach müssen die Steuern während der zeitlichen Dauer der Organschaft verursacht worden sein.
Der Insolvenzverwalter hatte noch vorgetragen, aus der Neuregelung in Art. 97 § 11 Abs. 4 Satz 2 EGAO i. d. F. des JStG 2020 v. 21.12.2020 ergebe sich, dass haftungsbegründender Tatbestand des § 73 AO die Entstehung der Steuerschuld oder des Anspruchs auf Erstattung einer Steuervergütung sei. Der Verweis in 97 § 11 Abs. 4 Satz 2 EGAO bezieht sich jedoch auf den neu eingefügten § 73 Satz 2 AO (Gesetz v. 12.12.2019, BGBl 2019 I S. 2451). Diese Regelung betrifft nicht die umsatzsteuerliche Organschaft, weil es eine mehrstufige umsatzsteuerliche Organschaft in diesem Sinne nicht gibt.
3 Kapitalanlage & Versicherung
3.1 Dividenden von inländischen Kapitalgesellschaften: Was gilt bei steuerbefreiten öffentlich-rechtlichen Versorgungswerken?
BFH, Urteil v. 17.5.2022, VIII R 2/18
Der BFH legt die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur Besteuerungsgleichheit dar: Der Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist es Sache des Gesetzgebers, die Sachverhalte auszuwählen, die er als "wesentlich gleich" qualifiziert. Die Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen müssen durch Sachgründe gerechtfertigt sein.
Eine unterschiedlich hohe Belastung muss bei Finanzzwecksteuern (wie der KSt) dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit genügen. Die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen. Ausnahmen müssen durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Körperschaften (insbesondere die Kapitalgesellschaften), verfügen in der Gesellschaftssphäre über eine eigenständige Leistungsfähigkeit, die unabhängig von der Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder besteuert wird.
3.2 Kapitaleinkünfte: Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen
FG Münster, Urteil v. 13.1.2022, 3 K 2991/19 E
Das Revisionsverfahren im vorliegenden Fall ist beim BFH anhängig, Az beim BFH VIII R 5/22. Zur streitigen Rechtsfrage sind bereits eine Reihe weiterer Verfahren beim BFH anhängig (Az beim BFH VIII R 30/19, Az beim BFH VIII R 5/21, Az beim BFH VIII R 30/19, Az beim BFH VIII R 11/21, Az beim BFH VIII R 13/21, Az beim BFH VIII R 21/21). Bis zur abschließenden höchstrichterlichen Klärung kann in gleichgelagerten Fällen mit einem Einspruch ein Ruhen des Verfahrens erreicht werden.
4 Lohn und Gehalt
4.1 Corona-Prämie gehört nicht zum pfändbaren Einkommen
Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 25.8.2022; 8 AZR 14/22; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil v. 25.11.2021; 6 Sa 216/21
§ 850 a Nr. 3 ZPO lautet: "Unpfändbar sind…3. … Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen".
4.2 Echte Abfindungen bei Personalabbau unterliegen der Lohnsteuer
FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 16.6.2021, 4 K 4206/18
Das letzte Wort liegt nun beim BFH. Dieser wird im anhängigen Revisionsverfahren, Az beim BFH IX R 25/21, nun klären müssen, ob Abfindungen für den Arbeitsplatzverlust in wirksamer Weise und zuflussvermeidend auf Zeitwertkonten (Wertguthaben) eingezahlt und steuerfrei auf die DRV übertragen werden können.
4.3 Grenzüberschreitend tätiger Berufskraftfahrer: Wer hat das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn?
BFH, Beschluss v. 1.6.2022, I R 45/18
Die Aufteilung des Arbeitsentgelts entspricht der Praxis der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben v. 3.5.2018, BStBl 2018 I S. 643). Das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats wird nur angenommen, "soweit" der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit dort ausübt (Rz. 339).
Dass die niederländische Steuerverwaltung Art. 10 Abs. 1 DBA-NLD 1959 offenbar anders als der BFH entsprechend der Sichtweise des X auslegt (Besteuerungsrecht der Niederlande) ändert an dem Ergebnis nichts. Die dadurch ausgelöste Doppelbesteuerung könnte X ggf. im Rahmen eines Verständigungsverfahrens (Art. 22 DBA...