10.1 Betrieb einer Seniorenresidenz und erweiterte Gewerbesteuerkürzung
FG Münster, Urteil v. 11.5.2021, 9 K 2274/19 G
Der Ausschluss der erweiterten Gewerbesteuerkürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG soll eine Bevorzugung der Gesellschaften gegenüber Einzelpersonen vermeiden. Denn schädlich ist es, wenn der Grundbesitz ohne die Zwischenschaltung der Gesellschaft zum gewerblichen (Sonder-)Betriebsvermögen des Gesellschafters gehören würde (BFH, Urteil v. 17.1.2006, VIII R 60/02). Es liegt keine reine Vermögensverwaltung mehr vor, wenn die Nutzung des Grundstücks auch bei einer Einzelperson eine Einbeziehung der Grundstückserträge in den Gewerbeertrag nach sich ziehen würde. Die Revision gegen das Urteil ist anhängig, Az beim BFH III R 26/21.
10.2 Eintritt in einen Freizeitpark und Hotelübernachtung: Welcher Umsatzsteuersatz gilt?
BFH, Urteil v. 17.3.2022, XI R 23/21 (XI R 4/21)
Der BFH ergänzt, dass der Unterschied im Hinblick auf das Einzugsgebiet für große Veranstaltungen wie das Münchner Oktoberfest oder das Cannstatter Volksfest in Stuttgart wegen deren Größe, Bekanntheit und überregionalen Einzugsgebiets geringer sein könnte. Diese Feste stellen jedoch wegen ihrer Größe eine Ausnahme dar.
Das FG hat (für den BFH bindend) bei seiner Darstellung der Unterschiede zwischen ortsgebunden und ortsungebundenen Veranstaltungen auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abgestellt. Dazu bemerkt der BFH, dass das nationale FG im Allgemeinen in der Lage ist, die Sicht des Durchschnittsverbrauchers aufgrund eigener Sachkunde festzustellen (EuGH-Urteil Phantasialand, EU:C:2021:720, Rz. 47). Gehören die entscheidenden Richter (wie hier die Richter des FG) selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedarf es im Allgemeinen keines (durch eine Meinungsumfrage o. Ä. untermauerten) Sachverständigengutachtens.
10.3 Entfernungspauschale: Was ist eine Betriebsstätte?
BFH, Urteil v. 16.2.2022, X R 14/19
Der BFH konnte offen lassen, ob der Begriff der "ersten Betriebsstätte" im Gleichklang mit der "ersten Tätigkeitstätte" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EStG n. F. auszulegen ist. Die Gleichbehandlung erscheint geboten. Im Streitfall kam es nicht darauf an. Denn jedenfalls waren die besonderen Voraussetzungen der "ersten Tätigkeitsstätte" erfüllt. Der BFH bejahte dies auch für die Frage der dauerhaften Zuordnung. Bei einem Arbeitnehmer stellt der BFH für das Merkmal der Dauerhaftigkeit § 9 Abs. 4 Satz 5 EStG n. F. auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis ab. Bei einem Gewerbetreibenden kann dem eine "außergewöhnlich sichere Geschäftsbeziehung" gleichgestellt werden.
10.4 Klage wegen Steuerberaterprüfung: Wann liegt Eilbedürftigkeit vor?
BFH, Urteil v. 23.3.2022, X K 2/20
Die StB-Prüfung ist bekanntlich nicht ganz einfach und das Bestehen kann für die weitere berufliche Entwicklung der Absolventen von ganz entscheidender Bedeutung sein. Entsprechende prüfungsrechtliche Verfahren sind daher ganz besonders eilbedürftig und müssen gegenüber üblichen finanzgerichtlichen Verfahren vorgezogen werden. Zutreffend erscheint daher auch der Hinweis des BFH, dass im Krankheitsfall der Vertreter des verhinderten Richters heranzuziehen ist und dass auch der Senatsvorsitzende selbst in die Bearbeitung einsteigen muss, wenn eine Vertretung durch ein anderes Senatsmitglied nicht möglich ist bzw. wenn ein Richter eines anderen Senats einspringen muss.
Wegen der besonderen Bedeutung der Qualifikation als StB für die Berufsausübung (trotz der Zulassung des X als Rechtsanwalt) erscheint die Entschädigung von 100 EUR pro Monat als zu gering.
10.5 Tätigkeit als Präventions- und Persönlichkeitstrainer nicht von der Umsatzsteuer befreit
BFH, Urteil v. 15.12.2021, XI R 3/20
Die Entscheidung verdeutlicht, dass im Bereich der Steuerbefreiung von Lehrkräften mangels Anpassung des nationalen Rechs an die unionsrechtlichen Regelungen Unsicherheiten bestehen können. In der Praxis sind die konkreten Einzelumstände herauszuarbeiten. Der BFH hebt stets – so auch hier – hervor, dass die Begriffe in Art. 132 MwStSystRL als Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz, dass jede Leistung gegen Entgelt der Mehrwertsteuer unterliegt, eng auszulegen sind (BFH, Urteil v. 19.8.2021, V R 21/20, BFH/NV 2022 S. 144).
10.6 Vorsteuerabzug ausnahmsweise auch ohne ordnungsgemäße Rechnung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 4.5.2022, 2 K 2193/21
Das FG hat die Revision beim BFH gegen das Urteil zugelassen.
Insoweit ist die FG-Rechtsprechung derzeit sehr unterschiedlich. So hatte zuletzt das FG Münster, Gerichtsbescheid v. 23.3.2022, 5 K 2093/20 U, den Vorsteuerabzug nicht zugelassen, weil eine ordnungsgemäße Rechnung nicht vorlag. Allerdings handelte es sich bei dem Streitfall um Schwarzeinkäufe.
10.7 Zu Überentnahmen bei Einnahmenüberschussrechnern
BFH, Urteil v. 17.5.2022, VIII R 38/18
Gemäß § 4 Abs. 4a Satz 6 Halbsatz 1 EStG sind bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die Sätze 1 bis 5 des § 4 Abs. 4a EStG sinngemäß anzuwenden. Schuldzinsen sind gemäß § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind.