OFD Niedersachsen, Verfügung v. 20.1.2016, S 0127 - 1 - St 142
1. Allgemeines
Tritt ein Zuständigkeitswechsel ein, so hat das neu zuständig gewordene FA die Besteuerung in vollem Umfang zu übernehmen. Es hat also unerledigte Veranlagungen zu bearbeiten und die Erhebungsgeschäfte abzuwickeln. Erforderlichenfalls hat es auch Vollstreckungsmaßnahmen wegen Steuerrückständen aus zurückliegenden Jahren vorzunehmen bzw. fortzuführen, weil die Zuständigkeit für die Besteuerung auch die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen umfasst.
Die Besteuerung ist auch zu übernehmen, wenn
- Veranlagungen noch nicht durchgeführt worden sind,
- die Steuerpflicht zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht gewechselt hat,
- über Anträge des Steuerpflichtigen (Stpfl.) noch nicht entschieden ist.
Auch ein anhängiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren hindert die Aktenabgabe nicht, weil nach § 367 Abs. 1 Satz 2 AO jeder nach Erlass des Verwaltungsaktes eintretende Zuständigkeitswechsel auch eine Zuständigkeitsänderung im Einspruchsverfahren bewirkt (Urteil FG Hamburg vom 13.4.1989, II 7/87). Diese Rechtsbehelfsverfahren sind daher mit den übrigen Akten abzugeben (Hinweis auf AO-Kartei § 367 AO Karte 1 Nr. 1 und Karte 3).
Zu den Auswirkungen eines Zuständigkeitswechsels auf das gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren verweise ich auf die AO-Kartei § 63 FGO Karte 2.
Wenn sich in den zu überweisenden Steuerakten noch unerledigte Veranlagungen aus den Vorjahren befinden, so ist in der Abgabeverfügung hierauf besonders hinzuweisen.
Die Übernahme der Besteuerung kann daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass
- Steuererklärungen unbearbeitet und Veranlagungen noch nicht durch geführt sind,
- die persönliche und/oder sachliche Steuerpflicht zwischenzeitlich erloschen ist,
- über Anträge des Stpfl. (z.B. auf Erlass von Steuerschulden) noch nicht entschieden ist oder
- der Stpfl. mit der Zahlung fälliger Steuern rückständig ist.
Es liegt in der Verantwortung jedes der betroffenen FÄ, in Zweifelsfragen vor einer Abgabe oder Übernahme des Besteuerungsverfahrens durch angemessene Überprüfungen sicherzustellen, dass dem Zuständigkeitswechsel eindeutige Gegebenheiten zugrunde liegen. Die die Zuständigkeit ändernden Umstände müssen daher aus der Sicht der betroffenen FÄ zweifelsfrei feststehen (BFH-Urteil vom 25.1.1989, X R 158/87 ; Urteil FG Berlin-Brandenburg vom 16.10.2007, 12 K 8357/04 B).
Die Sachaufklärung muss das noch zuständige FA betreiben. Mehren sich jedoch die Zweifel am Eintritt einer Zuständigkeitsänderung, verbleibt es bei der Zuständigkeit für die Besteuerung, da dann weiterhin keine positive Kenntnis von den den Zuständigkeitswechsel auslösenden maßgeblichen Umständen vorliegt. In diesem Stadium erlassene Verwaltungsakte sind in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit rechtsfehlerfrei.
2. Fortführung eines Verwaltungsverfahrens nach § 26 Satz 2 AO
2.1 Allgemeine Grundsätze
Nach § 26 Satz 2 AO kann die bisher zuständige Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen den beteiligten FÄ kann sich nur auf einzelne, im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels bereits anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, nicht jedoch auf die örtliche Zuständigkeit insgesamt.
Soll die örtliche Zuständigkeit insgesamt bei dem bisher zuständigen FA verbleiben, ist ggf. eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO zu treffen; s. im Einzelnen zu Nr. 4.
Als Verwaltungsverfahren i.S. des § 26 Satz 2 AO ist insbesondere das Besteuerungsverfahren im engeren Sinne anzusehen, das im Allgemeinen mit der ggf. öffentlichen Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung beginnt und mit der erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchzuführenden Verwirklichung (Einziehung bzw. Erstattung) endet, einschließlich eines etwaigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Dabei ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten. Entsprechendes gilt für die nach §§ 179 ff. AO durchzuführenden Feststellungen.
Vereinbarungen nach § 26 Satz 2 AO können insbesondere zweckmäßig sein, wenn
- der Stpfl. die Fortführung des Verfahrens durch das bisher zuständige FA beantragt und dafür wichtige Gründe anführt oder
- die Bearbeitung eines Falles kurz vor dem Abschluss steht oder
- eine Außenprüfung stattgefunden hat und der Prüfungsbericht noch nicht ausgewertet ist,
- Pfandsachen bereits zur Verwertung abgeholt wurden.
Es ist nicht erforderlich, dass das von dem Zuständigkeitswechsel betroffene Verfahren insgesamt entweder fortgeführt oder nicht fortgeführt wird.
Fortgeführt werden kann auch ein einzelner Verfahrensabschnitt (z.B. ein Einspruchsverfahren) oder eine einzelne Amtshandlung (z.B. Befragung einer im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels bereits geladenen Auskunftsperson an Amtsstelle).
Die Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO ist zwar nicht von der ...