Leitsatz
Eine Zustellung von Einkommensteuerbescheiden an einen in der Schweiz wohnhaften Steuerpflichtigen unmittelbar durch die Post ist völkerrechtlich erstmals für Besteuerungszeiträume ab dem 01.01.2018 zulässig.
Normenkette
§ 122, § 155 AO, § 9, § 10 VwZG, Art. 31 WÜRV, Art. 1 Abs. 2, Art. 2, Art. 17, Art. 28 Abs. 6, Art. 30 OECD-AHiÜbk
Sachverhalt
Der Kläger hat seit 2013 seinen ausschließlichen Wohnsitz in der Schweiz. Für die Streitjahre (2009 bis 2013) wurde er zunächst mit seiner Ehefrau, die ihren Wohnsitz im Inland hat, zur ESt zusammen veranlagt. Nachdem die Ehefrau für die Jahre 2009 bis 2012 die getrennte Veranlagung und für das Jahr 2013 die Einzelveranlagung beantragt hatte, hob das FA die im Wege der Zusammenveranlagung ergangenen ESt-Bescheide für die Streitjahre, soweit sie den Kläger betrafen, mit Bescheiden vom 25.4.2017 auf. Unter gleichem Datum veranlagte es den Kläger für die Streitjahre getrennt bzw. einzeln zur ESt.
Ebenfalls am 25.4.2017 ordnete das FA die öffentliche Zustellung der ESt-Bescheide und der Aufhebungsbescheide an. Zudem informierte es den Kläger, der keinen inländischen Empfangsbevollmächtigten benannt hatte, hierüber und übersandte ihm Kopien der ESt- sowie der Aufhebungsbescheide.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage, mit der der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Bekanntgabe der ESt-Bescheide der Streitjahre vom 25.4.2017 begehrte, gab das FG statt. Die streitgegenständlichen Steuerbescheide seien dem Kläger nicht wirksam im Wege der öffentlichen Zustellung bekanntgegeben worden. Denn die Zustellung von ESt-Bescheiden an einen in der Schweiz wohnhaften Steuerpflichtigen unmittelbar durch die Post sei nach dem Amtshilfeübereinkommen mit der Schweiz bereits ab dem 1.1.2017 und ohne Einschränkung, welche Besteuerungszeiträume sie betreffen, zulässig gewesen (FG Düsseldorf, Urteil vom 8.10.2019, 10 K 963/18 E, Haufe-Index 13546303, EFG 2019, 1809).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1. Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein schriftlicher Verwaltungsakt – und damit auch ein Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 AO) – demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird.
a) Die Bekanntgabe eines Steuerbescheids erfolgt, soweit dessen förmliche Bekanntgabe – wie auch im Streitfall – nicht gesetzlich angeordnet ist, grundsätzlich mittels einfachen Briefs durch die Post (§ 122 Abs. 2 AO). Dies gilt gleichermaßen für die Übermittlung eines Steuerbescheids in das Ausland.
b) Nach § 122 Abs. 5 Satz 1 AO wird ein Steuerbescheid u.a. zugestellt, wenn dies behördlich angeordnet wird. Die Anordnung der Zustellung steht im Ermessen der Behörde und muss auf die Belange des Bekanntgabeadressaten Rücksicht nehmen sowie dokumentiert sein.
c) Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 VwZG erfolgt eine Zustellung im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein, soweit die Zustellung von Steuerbescheiden unmittelbar durch die Post völkerrechtlich zulässig ist.
d) Gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn sie im Fall des § 9 VwZG (Zustellung im Ausland) nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung kommt nur als letztes Mittel in Betracht, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, den Verwaltungsakt dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln.
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FA zunächst die Zustellung der Steuerbescheide ermessensfehlerfrei angeordnet und sodann deren Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung auch ermessensfehlerfrei durchgeführt. Das FA hatte keine andere Möglichkeit, dem in der Schweiz ansässigen Kläger die ESt-Bescheide für die Streitjahre zu übermitteln.
a) Die Steuerbescheide konnten dem in der Schweiz ansässigen Kläger bis zum Inkrafttreten des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 25.1.1988 i.d.F. des Protokolls vom 27.5.2010 (im Weiteren: OECD-AHiÜbk) völkerrechtlich nicht zulässig durch einfachen Brief bekanntgegeben werden (s. AEAO zu § 122 Nr. 1.8.4 und 3.1.4.1 in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung). Die Anordnung der Zustellung der Steuerbescheide ist daher nicht zu beanstanden.
b) Die Zustellung der Steuerbescheide konnte gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, da eine Zustellung in die Schweiz gemäß § 9 Abs. 1 VwZG insbesondere mittels Einschreiben mit Rückschein völkerrechtlich nicht zulässig war (s. AEAO zu § 122 Nr. 1.8.4 und 3.1.4.1 in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung).
c) Eine Zustellung der Steuerbescheide an den in der Schweiz ansässigen Kläger konnte das FA im Jahr 2017, anders als das FG meint, auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 3 OECD-AHiÜbk unmittelbar durch die Post vornehmen lassen. Denn auch diese Art der Zustellung war nach Art. 28 Abs. 6 Satz 1 OECD-AHiÜbk erst für Steuerbescheide ab dem VZ 2018 zulässig.
d) Fü...