Nicht zuletzt aus Gründen des Haftungsrisikos besteht aus Sicht der Steuerberatung – insb. wegen verfassungsrechtlicher Zweifel – das Bedürfnis, die Grundsteuerwertbescheide offenzuhalten, um ggf. von einer zukünftigen, für den Mandanten günstigen Rspr. des BVerfG profitieren zu können. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden verfahrensrechtliche Optionen zum Hinausschieben der Bestandskraft dargelegt.
Beraterhinweis Die fehlerbeseitigende Fortschreibung i.S.v. § 222 Abs. 3 BewG macht Fehlerbeseitigungen – auch ohne Einspruchsverfahren oder Korrektur- bzw. Berichtigungsvorschrift der AO, mit Blick auf § 222 Abs. 1 BewG ab einer Wertabweichung von mehr als 15.000 EUR – möglich. Da die Grundsteuerwerte erst ab dem Kalenderjahr 2025 steuerliche Wirkung entfalten (vgl. § 266 Abs. 1 BewG i.V.m. § 36 Abs. 2 GrStG), kann die fehlerbeseitigende Fortschreibung ein probates Mittel darstellen, um etwaige Haftungsrisiken zu minimieren.
a) Vorbehalt der Nachprüfung – VdN (§ 164 AO)
Anträge auf Aufnahme eines VdN i.S.v. § 164 Abs. 1 AO, z.B. wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit, sind grundsätzlich nicht mit Aussicht auf Erfolg verbunden. Voraussetzung für die Aufnahme eines VdN ist, dass der Fall seitens der Finanzbehörde noch nicht abschließend geprüft ist (vgl. § 164 Abs. 1 Satz 1 AO). Zwar kann sich die Nachprüfung nicht nur auf den Sachverhalt, sondern auch auf die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts beziehen. Das Erfordernis einer rechtlichen Nachprüfung dürfte aus Sicht des FA – selbst angesichts einer zu erwartenden gerichtlichen Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit – jedoch regelmäßig nicht bestehen. Darüber hinaus steht die Aufnahme eines VdN im Ermessen der Finanzbehörde (vgl. § 5 AO); ein Anspruch auf Aufnahme besteht nicht.
b) Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO)
Wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit vorgebrachte Anträge auf Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks sind zurzeit ebenfalls nicht Erfolg versprechend. Zweifel an der Vereinbarkeit einer der Grundsteuerbewertung zugrunde liegenden Rechtsnorm mit dem GG rechtfertigen nur dann eine Anwendung von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, wenn dieselbe Frage bereits Gegenstand eines Musterverfahrens bei dem BVerfG oder dem BFH ist. Zusätzlich muss die Möglichkeit der Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks ausdrücklich durch koordinierte Ländererlasse bewilligt werden (vgl. AEAO zu § 165 Nr. 6). Diese Voraussetzungen liegen gegenwärtig (noch) nicht vor.
c) Ruhen des Verfahrens (§ 363 AO)
Bei der Ruhe des Einspruchsverfahrens ist insb. zwischen der Zwangsruhe (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO) und der Verfahrensruhe aus Gründen der Zweckmäßigkeit (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO) zu unterscheiden.
Zwangsruhe tritt kraft Gesetzes ein, soweit z.B. wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm ein Verfahren beim BVerfG oder beim BFH anhängig ist und der Einspruchsführer seinen Rechtsbehelf hierauf stützt.
Das Rechtsbehelfsverfahren kann ruhen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint und der Einspruchsführer zustimmt; hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde (§ 5 AO). Einen wichtigen Grund kann bereits ein einzelnes finanzgerichtliches Verfahren über eine Rechtsfrage mit einer gewissen Breitenwirkung darstellen.
Beraterhinweis Eine Verfahrensruhe kommt etwa wegen der beim FG Baden-Württemberg anhängigen Verfahren Az. 8 K 2368/22 sowie Az. 8 K 2491/22 – in Bezug auf das Bundesmodell – nicht in Betracht, da die Verfahren das baden-württembergische Grundsteuermodell betreffen. Eine verfassungsrechtliche Vergleichbarkeit dürfte allein deshalb nicht gegeben sein, weil Baden-Württemberg die Belastungsentscheidung seines Grundsteuermodells – anders als das Bundesmodell – zuvorderst am Äquivalenzgedanken ausrichtet (vgl. LT-Drucks. BW 16/8907, 52 und 53).
d) Sprungklage (§ 45 FGO)
Ein finanzgerichtliches Verfahren ohne Vorverfahren (sog. Sprungklage i.S.v. § 45 FGO) scheint mit vager Aussicht auf Erfolg verbunden, da ungewiss ist, ob das FA die erforderliche Zustimmung erteilt (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Beraterhinweis Die Entscheidung, ob der Sprungklage zugestimmt wird, liegt im Ermessen des zuständigen FA (§ 5 AO). Ein Rechtsanspruch auf Erteilung der erforderlichen Zustimmung besteht nicht. Auch ist die Verweigerung der Zustimmung nicht gerichtlich nachprüfbar (vgl. Gräber/Teller, FGO, § 45 Rz. 9). Stimmt das FA nicht zu, wird die Klage als Einspruch behandelt (§ 45 Abs. 3 FGO).