Leitsatz
1. Mit der Zustellung eines Beschlusses über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision beginnt die Frist für die Nachholung der Begründung der Beschwerde. Sie beträgt zwei Monate.
2. Es stellt einen Verfahrensmangel dar, wenn über eine zulässige Klage durch Prozessurteil entschieden wird.
3. Hat das FG auf einen zu Unrecht als verspätet angesehenen Antrag auf mündliche Verhandlung entschieden, sein klageabweisender Gerichtsbescheid wirke als Urteil, kann diese Entscheidung vom Revisionsgericht nicht als im Ergebnis richtig aufrechterhalten werden, weil die Abweisung der Klage in dem Gerichtsbescheid zu Recht erfolgt sei.
4. Eine öffentliche Zustellung ist auch dann wirksam, wenn die Zustellungsbehörde durch unrichtige Auskünfte Dritter zu der unrichtigen Annahme verleitet wird, der Adressat der Zustellung sei unbekannten Aufenthaltsorts, sofern sie auf die Richtigkeit der ihr erteilten Auskunft vertrauen durfte.
5. Ein einmaliger Fehlschlag der Zustellung an einer Adresse, die der Adressat angegeben hat und an der er gemeldet ist, berechtigt im Allgemeinen nicht zur öffentlichen Zustellung.
Normenkette
§ 56 FGO , § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO , § 116 FGO , § 126 Abs. 4 FGO , § 142 FGO , § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG
Sachverhalt
Eine Klage war vom FG durch Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen worden. Der Kläger war der öffentlich zugestellten Aufforderung, den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, nicht nachgekommen. Die entsprechende Verfügung war mit dem Vermerk des Zustellers zurückgekommen, "Empfänger wohnt nicht unter der Anschrift". Die nämliche Anschrift hatte der Kläger in seinem Schriftverkehr mit dem FG angegeben und unter ihr offenbar auch die Einspruchsentscheidung des FA erhalten. Eine Anfrage des FG beim Einwohnermeldeamt und beim FA hatte ergeben, dass diese Anschrift richtig sei.
Der rund fünf Monate nach jener fehlgeschlagenen Zustellung ergangene Gerichtsbescheid ist ebenfalls öffentlich zugestellt worden. Ein halbes Jahr später hat der Kläger Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Über diesen hat das FG durch Urteil dahin entschieden, der Gerichtsbescheid wirke als Urteil.
Der BFH hat jedoch dem Kläger PKH für das Verfahren der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision bewilligt. Nach Zustellung dieses Beschlusses hat der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, die Beschwerde erhoben. Eine Begründung der Beschwerde wurde jedoch erst rund fünf Wochen nach Zustellung des PKH-Beschlusses eingereicht. In ihr wurde geltend gemacht, die öffentliche Zustellung des vorgenannten Gerichtsbescheids sei unwirksam gewesen.
Entscheidung
Der BFH sieht die Beschwerdebegründung als rechtzeitig an, obwohl die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO bereits abgelaufen war. Er schließt sich der Entscheidung des BVerwG in DVBl 2002, 1050 an, dass dann, wenn ein Wiedereinsetzungsbeschluss hinsichtlich der Beschwerdeeinlegungsfrist nicht ergeht, einem im PKH-Verfahren erfolgreichen Rechtsmittelführer die vollständige Beschwerdebegründungsfrist – d.h. eine Frist von zwei Monaten – verbleiben müsse. Diese Frist beginne erst mit der Zustellung des PKH-Beschlusses zu laufen.
Die danach zulässige Beschwerde sei auch begründet, weil die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheids unwirksam gewesen sei. Nur ob der Gerichtsbescheid als Urteil wirke oder infolge eines rechtzeitig gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen anzusehen ist, könne der BFH prüfen, nicht auch, ob es trotz des Antrags auf mündliche Verhandlung bei der Abweisung der Klage bleiben muss, weil der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens nicht innerhalb einer ihm wirksam gesetzten Ausschlussfrist bezeichnet hat.
Der BFH hat im Streitfall von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, statt die Revision zuzulassen, bereits im Beschwerdeverfahren die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Hinweis
1. Das PKH-Verfahren zieht eine Verkomplizierung des Rechtsmittelverfahrens nach sich, die mangels völlig unzureichender gesetzlicher Regelung der betreffenden Probleme von den Betroffenen, aber mitunter auch der Rechtsprechung nur mühsam zu bewältigen ist. Umsicht ist also geboten!
2. Gesichert ist: Wer selbst nicht über die nach § 62a FGO für ein Auftreten vor dem BFH erforderliche besondere fachliche Qualifikation verfügt und nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gem. § 114 ZPO auch nicht die Kosten für die Beauftragung einer zum Auftreten vor dem BFH nach § 62a FGO befugten Person aufbringen kann und deshalb die Frist für die Einlegung einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision verstreichen lassen muss, tut dies, ohne dass ihm daraus ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, sofern er innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO alles in seiner Macht Stehende unternimmt, damit ihm PKH gewährt werden kann und sodann für ihn durch eine qualifizierte Person oder Gesellschaft das Rechtsmittel eingelegt werden kann. Folglich muss fristgerecht erstens eine (zuminde...