Entscheidungsstichwort (Thema)
Anzeige eines Anteilskaufvertrags nur durch den Notar; Beginn der Festsetzungs-/Feststellungsfrist trotz fehlender Anzeigen der Beteiligten
Leitsatz (amtlich)
1. Kommt ein nach § 18 GrEStG zu einer Anzeige Verpflichteter seiner Anzeigepflicht durch eine den Anforderungen des § 20 GrEStG entsprechende Anzeige an das zuständige FA nach, wird der Beginn der Festsetzungs-/Feststellungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht dadurch weiter hinausgeschoben, dass für denselben Rechtsvorgang nach § 19 GrEStG Anzeigeverpflichtete ihre Anzeigepflicht nicht erfüllt haben.
2. Die Aussage im Urteil vom 16. Februar 1994 II R 125/90 (BFHE 174, 185, BStBl II 1994, 866), § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 stelle nur auf solche Anzeigen ab, zu deren Erstattung der Steuerpflichtige verpflichtet ist, nicht aber auch auf solche, die von vom Steuerpflichtigen unabhängigen Dritten abzugeben sind, ist auf Sachverhalte beschränkt, in denen eine alleinige Anzeigepflicht der Gerichte, Behörden und Notare besteht.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 17 Abs. 2-3, § 18 Abs. 2 S. 2, § 19 Abs. 1 Nr. 6; AO 1977 § 44 Abs. 1, § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 181 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Mit notariell beurkundetem Anteilskaufvertrag vom 18. Juli 1991 erwarb die F-GmbH von der Treuhandanstalt, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist, sämtliche Anteile an der P-GmbH. Zum Vermögen der P-GmbH gehörten mehrere Grundstücke in verschiedenen Finanzamtsbezirken. Der Erwerbsvorgang wurde von den Beteiligten nicht angezeigt.
Am 24. Juli 1991 ging beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) die von der Notarin mit Schreiben vom 18. Juli 1991 übersandte Kopie des Anteilskaufvertrages ein. Wegen fehlender Veräußerungsanzeige nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck forderte das FA die Notarin am 16. Oktober 1997 zur Einreichung der Anzeige auf, die daraufhin die Kopie einer ausgefüllten Anzeige übersandte. Das FA erließ am 27. Oktober 1997 gegenüber der F-GmbH einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer für den am 18. Juli 1991 durch Anteilskaufvertrag verwirklichten Erwerbsvorgang. Über das Vermögen der F-GmbH wurde am 8. Dezember 1997 das Konkursverfahren eröffnet.
Mit an die Klägerin als Veräußerin ergangenem Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 29. Juli 1998 stellte das FA für den durch den Vertrag vom 18. Juli 1991 verwirklichten Erwerb aller Anteile an der P-GmbH die Besteuerungsgrundlagen gesondert fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage machte die Klägerin Feststellungsverjährung geltend und behauptete, dem Schreiben der Notarin vom 18. Juli 1991 sei eine ordnungsgemäße Veräußerungsanzeige beigefügt gewesen. Das Finanzgericht (FG) führte in seiner klageabweisenden Entscheidung aus, Feststellungsverjährung sei im Zeitpunkt des Ergehens des Bescheids noch nicht eingetreten gewesen. Die Klägerin sei ihrer Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 Nr. 6 des Grunderwerbsteuergesetzes in der für den Streitfall maßgebenden Fassung (GrEStG) nicht nachgekommen, so dass die Frist des § 170 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht begonnen habe. Ob die den Anteilskaufvertrag beurkundende Notarin ihre Anzeigepflicht nach § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG erfüllt habe, könne offen bleiben, weil die Anzeige des Notars nach § 18 GrEStG keine Steuererklärung sei und die Feststellungsfrist trotz etwaiger Kenntnis des FA von dem Rechtsvorgang nicht begonnen habe. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 676 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 29. Juli 1998 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 2001 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat es im Hinblick auf § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 zu Unrecht als unbeachtlich angesehen, ob die Notarin hinsichtlich des Anteilskaufvertrags vom 18. Juli 1991 ihrer Anzeigepflicht gegenüber dem FA nachgekommen ist.
1. Bei einem nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG steuerbaren Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung aller Anteile einer Gesellschaft begründet, werden nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG die Besteuerungsgrundlagen durch das Geschäftsleitungsfinanzamt gesondert festgestellt, wenn ―wie vorliegend― ein außerhalb des Bezirks des Geschäftsleitungsfinanzamts belegenes Grundstück betroffen ist.
a) Gegenstand der nach § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG zu treffenden gesonderten Feststellung sind die Besteuerungsgrundlagen. Dazu gehört in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG die verbindliche Entscheidung über die Steuerpflicht dem Grunde nach, über die als Steuerschuldner in Betracht kommenden Personen, über die nach § 8 i.V.m. §§ 9 und 10 GrEStG anzusetzende Bemessungsgrundlage sowie über die Finanzämter, die zur Steuerfestsetzung berufen sind (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 31. März 2004 II R 54/01, BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658; vom 20. Oktober 2004 II R 32/02, BFH/NV 2005, 574).
b) Schulden mehrere Personen nebeneinander als Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 AO 1977) dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis, hat das FA bereits im Feststellungsbescheid eine die zur Steuerfestsetzung zuständigen Finanzämter bindende Entscheidung über die Auswahl des in Anspruch zu nehmenden Steuerschuldners zu treffen (BFH-Urteil in BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658).
Im Streitfall hat das FA zutreffend die Klägerin als Steuerschuldnerin in Anspruch genommen, nachdem über das Vermögen der F-GmbH das Konkursverfahren eröffnet worden war. Die F-GmbH als Erwerberin und die Treuhandanstalt bzw. Klägerin als Veräußerin schuldeten nach § 44 Abs. 1 AO 1977 als Gesamtschuldner die ganze Leistung, weil bei einer nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG zu besteuernden Übertragung aller Anteile an einer Gesellschaft Steuerschuldner gemäß § 13 Nr. 1 GrEStG sowohl der bisherige Inhaber als auch der Erwerber der Anteile ist (BFH-Urteile vom 3. April 1974 II 186/65, BFHE 112, 531, BStBl II 1974, 643; in BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658). Die alleinige Heranziehung der Klägerin als Steuerschuldnerin entsprach aufgrund der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der F-GmbH pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO 1977; vgl. BFH-Urteile vom 12. Mai 1976 II R 187/72, BFHE 119, 188, BStBl II 1976, 579, und in BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658; Boeker in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO 1977 Rz. 50). Danach bedurfte es auch keiner einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der Klägerin und der F-GmbH.
2. Das FG hat die Voraussetzungen einer Anlaufhemmung der Feststellungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 für einen Feststellungsbescheid nach § 17 GrEStG verkannt. Der Beginn der Feststellungsfrist war nicht allein deshalb hinausgeschoben, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin und die F-GmbH ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen waren. Das FG hätte vielmehr prüfen müssen, ob die den Anteilskaufvertrag beurkundende Notarin ihre Anzeigepflicht erfüllt hat.
a) Für den Erlass von Feststellungsbescheiden sieht die AO 1977eine eigenständige Feststellungsfrist vor, die unabhängig von der Festsetzungsverjährung der Folgesteuern zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3). Nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gelten für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sinngemäß auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO 1977). Für die Feststellungsfrist gilt daher auch die Regelung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 (BFH-Urteil in BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3; BFH-Beschluss vom 5. August 2004 II B 26/04, BFH/NV 2005, 7). Nach dieser Bestimmung beginnt abweichend von § 170 Abs. 1 AO 1977 die Festsetzungs-/ Feststellungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung oder Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
b) Zur Anzeige des Anteilskaufvertrags waren zum einen gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG die den Anteilskaufvertrag beurkundende Notarin und zum anderen gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 13 Nr. 1 GrEStG die F-GmbH als Anteilserwerberin und die Treuhandanstalt als bisherige Inhaberin der Anteile verpflichtet (BFH-Urteil in BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658). Die Anzeigepflicht der Beteiligten besteht unabhängig von der Anzeigepflicht des Notars (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1996 II R 69/94, BFHE 181, 341, BStBl II 1997, 85; vom 4. März 1999 II R 79/97, BFH/NV 1999, 1301).
c) Im Streitfall sind zwar die Beteiligten ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen. Dem FG kann jedoch nicht darin gefolgt werden, dass eine etwa von der Notarin erstattete Anzeige im Rahmen des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 unbeachtlich ist. Denn wenn der beurkundende Notar seine Anzeigepflicht nach § 18 GrEStG durch eine den Anforderungen des § 20 GrEStG entsprechende Anzeige an das zuständige Finanzamt erfüllt, wird der Beginn der Feststellungsfrist nicht dadurch weiter hinausgeschoben, dass die anderen (im Streitfall nach § 19 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG) Anzeigeverpflichteten ihrer Anzeigepflicht nicht nachkommen. Bereits nach formgültiger Anzeige durch einen von mehreren Anzeigeverpflichteten ist dem FA die Einleitung eines Besteuerungsverfahrens ohne weiteres möglich und ein weiteres Hinausschieben der Feststellungs-/Festsetzungsfrist nicht erforderlich (BFH-Urteile vom 21. Juni 1995 II R 11/92, BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802; vom 30. Oktober 1996 II R 70/94, BFHE 181, 274, BStBl II 1997, 11; vgl. auch bereits BFH-Urteil vom 4. August 1976 II R 20/71, BFHE 119, 387, BStBl II 1977, 123).
Die vom FG gegen diese Rechtsprechung unter Berufung auf den Wortlaut des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erhobenen Einwände greifen nicht durch. Der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bedarf für den Fall einer ―wie hier― nebeneinander sowohl nach § 18 GrEStG als auch nach § 19 GrEStG bestehenden Anzeigepflicht einer an seinem Sicherungszweck ausgerichteten einschränkenden Auslegung. Die Vorschrift soll ―lediglich― verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung, Steueranmeldung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (BFH-Entscheidungen vom 7. Dezember 1999 II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233; vom 29. Januar 2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687). Dieser Sicherungszweck rechtfertigt keine weitere Hemmung des Anlaufs der Feststellungs-/ Festsetzungsfrist zu Lasten des Steuerpflichtigen, wenn der Rechtsvorgang dem FA durch einen der mehreren Anzeigepflichtigen ordnungsgemäß angezeigt und damit die Anzeigepflicht erfüllt wird. Dass die Anzeige der Gerichte, Behörden und Notare nach § 18 GrEStG ―mangels einer § 19 Abs. 5 GrEStG entsprechenden Bestimmung― nicht als Steuererklärung zu behandeln ist, ist insoweit unerheblich.
d) Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich ―entgegen der Ansicht des FG― nicht etwa deshalb, weil § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht für Anzeigen gilt, die von vom Steuerpflichtigen unabhängigen Dritten abzugeben sind (BFH-Urteil vom 16. Februar 1994 II R 125/90, BFHE 174, 185, BStBl II 1994, 866). Die Nichtanwendung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 beschränkt sich ausschließlich auf Fallgestaltungen, in denen für einen Rechtsvorgang eine alleinige Anzeigepflicht der Gerichte, Behörden und Notare nach § 18 GrEStG ―und nicht daneben auch eine Anzeigepflicht der Beteiligten nach § 19 GrEStG― besteht. Nur in diesen Fällen hätten es die nach § 18 GrEStG Anzeigepflichtigen in der Hand, den Beginn der Festsetzungsfrist zu bestimmen. Es wäre mit den durch die Verjährungsvorschriften (§§ 169 f. AO 1977) verwirklichten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nicht vereinbar, die Verjährung des Steueranspruchs aus Gründen hinauszuschieben, die der Steuerpflichtige nicht kennt (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, BFHE 159, 296, BStBl II 1990, 526; in BFHE 174, 185, BStBl II 1994, 866). Dieses die Anwendung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 schon grundsätzlich ausschließende Hindernis entfällt, sofern auch der Steuerpflichtige selbst neben den nach § 18 GrEStG Anzeigeverpflichteten eine Anzeige zu erstatten hat.
Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten Rechtsgang aufzuklären, ob die Notarin die Veräußerungsanzeige nach § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG zusammen mit dem am 24. Juli 1991 beim FA eingegangenen Anteilskaufvertrag dem FA eingereicht hat. Maßgebend für den Beginn der Feststellungsfrist ist der Zeitpunkt des Eingangs der Veräußerungsanzeige beim FA.
Fundstellen
Haufe-Index 1409316 |
BFH/NV 2005, 1905 |
BStBl II 2005, 780 |
BFHE 2006, 65 |
BFHE 210, 65 |
BB 2005, 2006 |
DB 2005, 2616 |
DStRE 2005, 1158 |
DStZ 2005, 621 |
HFR 2005, 1101 |