Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafzumessung bei berichtigungsfähigen Scheinrechnungen in einem Umsatzsteuerkarussell
Leitsatz (amtlich)
Können Scheinrechnungen nach den vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorgegebenen steuerlichen Grundsätzen berichtigt werden, hat dies regelmäßig keinen Einfluß auf den Schuldspruch, ist aber im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.
Bei sogenannten Umsatzsteuerkarussellen ist jedenfalls dann, wenn den einzelnen Beteiligten die Struktur und die Funktionsweise des Karussells bekannt sind, der durch das System verursachte Gesamtschaden zu ermitteln und in die Strafzumessung einzustellen.
Normenkette
StGB § 46 Abs. 2 S. 2; AO § 370 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 14 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 09.07.2001; Aktenzeichen 8 KLs 142 Js 27932/00) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2001 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diese Verurteilung wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft, die ihre vom Generalbundesanwalt vertretene Revision auf den Strafausspruch beschränkt. Beide Rechtsmittel haben in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts erzielte der Angeklagte, der zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder ein Sägewerk mit angeschlossenem Holzgroßhandel in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG betrieb, im Laufe des Jahres 1997 Erlöse in Höhe von etwa 34.000 DM, die er entweder in bar oder über das Konto seines Schwiegervaters vereinnahmte. Im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung 1997, die der Angeklagte als Mit-Geschäftsführer der Komplementär-GmbH vorbereitet und die sein Vater gutgläubig unterschrieben hatte, gab der Angeklagte für die L GmbH & Co. KG (im folgenden: Firma L) diese Umsätze nicht an, so daß Umsatzsteuer in Höhe von ca. 4.500 DM verkürzt wurde.
Ebenfalls noch im Jahre 1997 begann der Angeklagte mit dem anderweitig verfolgten Zeugen M, der bei der G der für den Holzhandel verantwortliche Mitarbeiter war, Luftgeschäfte vorzunehmen. Dabei gingen M und der Angeklagte dergestalt vor, daß sie über Scheinrechnungen Lieferungen vortäuschten, die tatsächlich nicht erfolgt waren. So bezog der Angeklagte von der G angeblich Holz über einen Rechnungsbetrag in Höhe von 2,9 Mio. DM. Von M … kaufte er laut Rechnungsstellung Waren in Höhe von etwa 2,4 Mio. DM an. Gleichzeitig lieferte der Angeklagte aber auch zum Schein an die … G … und an M. Er entrichtete auf diese von der Firma L … gestellten Rechnungen die dafür ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von knapp 600.000 DM; umgekehrt zog er die Vorsteuer aus den an die Firma L … gerichteten Scheinrechnungen, die entweder von der Firma M … oder der G … erstellt worden waren. Der Angeklagte buchte die Beträge aus den Scheinrechnungen gegen die G – entsprechend der zwischen den Partnern bestehenden Übung – direkt ab und zahlte 90 % des Rechnungsbetrages an M aus. M betrieb ein gleichartiges Scheinrechnungskarussell mit vier weiteren Firmen.
Der Angeklagte, der aus den nicht erfolgten Lieferungen keine Vorsteuer hätte geltend machen dürfen, verkürzte dadurch Umsatzsteuer für das Jahr 1997 in Höhe von 800.000 DM, worin auch die Steuerverkürzung in Höhe von 4.500 DM für die Gelder enthalten war, die auf die nicht verbuchten Lieferungen entfiel.
In den Monaten Januar bis März 1998 führten der Angeklagte und M … dieses System weiter. Da auch in diesen Monaten der Angeklagte aus den jeweiligen an die Firma L gerichteten Scheinrechnungen unberechtigt die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer in den von ihm unterschriebenen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug brachte, entstanden weitere Steuerverkürzungen in Höhe von 170.000 DM (Januar 1998), 120.000 DM (Februar 1998) und 110.000 DM (März 1998). Der Angeklagte beabsichtigte schon bei Abgabe der monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen, diese unzutreffenden Angaben später im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 1998 nicht zu berichtigen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft führen im Strafausspruch zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils.
1. Die Revision des Angeklagten bleibt allerdings ohne Erfolg, soweit sie den Schuldspruch angreift.
a) Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind sämtlich nicht ordnungsgemäß ausgeführt im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und damit unzulässig.
b) Die sachlichrechtlichen Beanstandungen gegen den Schuldspruch sind unbegründet. Das Landgericht hat den Angeklagten rechtsfehlerfrei wegen vollendeter Steuerhinterziehung in vier Fällen verurteilt.
aa) Hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 wird der Schuldspruch schon allein durch die von der Revision nicht angegriffene Feststellung getragen, daß der Angeklagte die bar vereinnahmten oder auf das Konto seines Schwiegervaters überwiesenen Erlöse der Firma L in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 1997 nicht angab. Da die Firma L aus diesen Geschäftsvorfällen Umsatzsteuer schuldete (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 13 Abs. 2 Nr. 1 UStG a.F./§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG n.F.), verkürzte der Angeklagte als verantwortlicher Geschäftsführer (§ 34 AO) gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Steuern, indem er die bereits erfolgten Lieferungen den Finanzbehörden verschwieg.
bb) Die Verurteilungen wegen dreier vollendeter Steuerhinterziehungen bezüglich der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis März 1998 begegnen gleichfalls keinen rechtlichen Bedenken, weil der Angeklagte – was auch hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 den Schuldspruch rechtfertigt –, Vorsteuern aus Scheinrechnungen geltend gemacht und damit den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt hat.
Unabhängig davon, ob der Adressat einer Scheinrechnung, die einen Umsatzsteuerausweis enthält, diese tatsächlich bezahlt hat, scheidet ein Vorsteuerabzug aus. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist der Rechnungsadressat nur dann zum Vorsteuerabzug befugt, wenn die in Rechnung gestellte Lieferung oder sonstige Leistung tatsächlich ausgeführt worden ist (BGH NJW 2002, 1963, 1965 sub d). Da den Rechnungen jeweils keine tatsächlich durchgeführten Lieferungen oder sonstigen Leistungen zugrunde lagen, war der Angeklagte zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt (vgl. Wagner in Sölch/Ringleb, UStG § 15 Rdn. 96 m. w. N.).
Entgegen der Auffassung der Revision kann im Rahmen der Prüfung der Schuldfrage ein gegebenenfalls zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuerbetrag nicht mit solchen Umsatzsteuerverbindlichkeiten saldiert werden, die aufgrund einer späteren Berichtigung in Wegfall gelangen.
(1) Selbst wenn eine Berichtigungsmöglichkeit gegeben wäre, könnte diese den Schuldspruch nicht in Frage stellen. Die Umsatzsteuer war zum Zeitpunkt der Abgabe der monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen nämlich nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet. Nach Satz 2 2. Alternative dieser Vorschrift haftet derjenige, der – ohne daß ein entsprechender Geschäftsvorfall zugrunde liegt – Rechnungen mit einem gesonderten Umsatzsteuerausweis erstellt. Mit der Schaffung eines allein an den Umsatzsteuerausweis geknüpften Steuertatbestandes soll die Erstellung entsprechender Scheinrechnungen verhindert werden, die ein erhebliches Gefährdungspotential aufweisen, weil aus ihnen Vorsteuerabzüge geltend gemacht werden können (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Versuch 2). Eine solche Gefährdung liegt aufgrund der Besonderheiten des Umsatzsteuererhebungssystems, das überwiegend auf Vertrauen aufgebaut und weitgehend automatisiert ist, besonders nahe. Der Steuerpflichtige errechnet seine Umsatzsteuerschuld selbst; er legt allenfalls die Rechnungen vor. Eine Prüfung des hinter einer Rechnung stehenden Sachverhalts ist der Finanzbehörde im Rahmen des Massengeschäftes, welches die Umsatzsteuererhebung darstellt, grundsätzlich nicht möglich. Die Finanzverwaltung verfügt dabei im wesentlichen über ein auf Stichproben beschränktes weitmaschiges Kontrollsystem. Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch der Zweck des § 14 Abs. 3 Satz 2 2. Alternative UStG. Mit dieser Regelung, die auf der gemeinschaftsrechtlichen Norm des Art. 21 Nr. 1 lit. c (jetzt: lit. d) der 6. EG-Richtlinie (77/388/EWG) beruht, ist ein Tatbestand geschaffen worden, der eine Ausfallhaftung gewährleistet (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG 8. Aufl. § 14 Rdn. 267.3).
Allerdings beschränkt der Gefährdungsgedanke auch den durch § 14 Abs. 3 UStG geschaffenen Haftungsumfang. Ist die Gefährdung nämlich rechtzeitig und vollständig beseitigt, verlangt es der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer, daß eine zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) aufgrund einer Vorlage des Bundesfinanzhofes (BFHE 187, 84) entschieden, dabei aber gleichzeitig ausgeführt, daß die Umsetzung der Berichtigungsmöglichkeit, die allerdings nicht von einem behördlichen Ermessen abhängig gemacht werden darf, den nationalen Verfahrensordnungen obliegt (EuGH, Urt. vom 19. September 2000 – C-454/98, Slg. 2000, I – 6973 – Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel). In Umsetzung dieses Urteils des Europäischen Gerichtshofs hat der Bundesfinanzhof hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Behandlung einer etwaigen Berichtigung differenziert. Entfällt die Gefährdungslage bereits im Besteuerungszeitraum, ist analog § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG noch in demselben Besteuerungszeitraum die Rechnung zu berichtigen (BFH UR 2001, 255, 257). Tritt der Wegfall der Gefährdungslage später ein, erfolgt eine Berichtigung der Steuer nach der Billigkeitsregelung des § 227 AO (BFH UR 2001, 312, 314). Die Gefährdungslage wird beseitigt, wenn die Scheinrechnung zurückgegeben oder storniert ist, ohne daß vorher ein Vorsteuerabzug getätigt wurde (BFH UR 2001, 255, 257). Sie wird aber auch trotz erfolgten Vorsteuerabzuges beseitigt, sobald umgekehrt die in der Scheinrechnung ausgewiesene Umsatzsteuer gezahlt ist (BFH UR 2001, 312, 314). Damit ist der in der Rechnung angelegte umsatzsteuerliche Saldo ausgeglichen und der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer wiederum gewahrt. Berichtigungsfähig sind solche Rechnungen auch, wenn die gezogene Vorsteuer unzweifelhaft zurückgeführt wurde (vgl. zu den Berichtigungsmöglichkeiten eingehend Wagner aaO § 14 Rdn. 201 ff.).
Voraussetzung für eine entsprechende Berichtigung ist aber, daß eine solche in der hierfür erforderlichen Form durchgeführt wurde. In den Fällen der Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG muß die Berichtigung durch beide Partner des Scheinrechnungsverhältnisses erfolgen. In den Fällen, in denen nur noch eine Billigkeitsentscheidung nach § 227 AO in Betracht kommt, bedarf es eines gesonderten Verwaltungsverfahrens, in dem geprüft wird, ob eine Gefährdung tatsächlich ausgeschlossen ist. Hier hatte jedenfalls im Voranmeldungszeitraum keine beiderseitige Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG stattgefunden. Selbst wenn die Finanzbehörde später einen Teil des Steueranspruches nach § 227 AO erlassen würde, ließe dies den bereits vor dem getroffenen Billigkeitserlaß erfüllten Tatbestand der vollendeten Steuerhinterziehung unberührt. Dies hätte allenfalls als strafmildernder Umstand für die Rechtsfolgenbemessung Auswirkungen. Ein Einfluß auf den Schuldspruch läßt sich mithin schon aus diesen Gründen ausschließen.
(2) Eine derartige Verrechnung, wie sie der Angeklagte mit seiner Revision geltend macht, unterfiele zudem dem Kompensationsverbot gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO. Der Abzug von Vorsteuern und die Bezahlung von Umsatzsteuern nach § 14 Abs. 3 UStG stehen nämlich in keinem so engen wirtschaftlichen Zusammenhang, als daß beide Gesichtspunkte nur einheitlich beurteilt werden könnten (BGH wistra 1984, 183; 1982, 199; Kohlmann AO 7. Aufl. § 370 Rdn. 160.2; Gast-de Haan in Klein AO 7. Aufl. § 370 Rdn. 74). Die jeweiligen umsatzsteuerrechtlich relevanten Tatbestände, nämlich der Vorsteuerabzug und die Rechnungsbesteuerung nach § 14 Abs. 3 UStG beruhen auf unterschiedlichen Sachverhalten. Dies ergibt sich hier schon daraus, daß die Firma L einmal Rechnungsaussteller und zum anderen Rechnungsempfänger war. Beide steuerlichen Tatbestände stehen nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, auch wenn sie jeweils als Einzelrechnungsposten in die monatlichen Voranmeldungen eingehen (vgl. BGH wistra 1991, 107; kritisch hierzu Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 5. Aufl. § 370 Rdn. 71). Sowohl der Vorsteuerabzug als auch die Besteuerung nach § 14 Abs. 3 UStG haben jeweils unterschiedliche tatsächliche Grundlagen. Schon allein deshalb ist auch die Ermäßigung einer auf § 14 Abs. 3 UStG beruhenden Steuerlast aufgrund einer späteren Berichtigung ein anderer Grund im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO.
cc) Das Landgericht hat zutreffend den Angeklagten jeweils wegen vollendeter Steuerhinterziehung verurteilt. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-454/98 – Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel – nicht, es könne insoweit nur der Tatbestand einer versuchten Steuerhinterziehung erfüllt sein. Die eher beiläufige Anmerkung des Gerichtshofs in Rdn. 62, die über die Vorlegungsfragen hinausgeht und Bezug nimmt auf Ausführungen der Kommission, die Mitgliedstaaten seien nicht gehindert, die Ausstellung fingierter Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis als versuchte Steuerhinterziehung mit den im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen wie Geldstrafe oder Geldbuße zu belegen, verweist lediglich allgemein auf die den Mitgliedstaaten obliegende strafrechtliche Verfolgung derartiger Manipulationen und erwähnt beispielhaft unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten. Ob die Verwendung fingierter Belege als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder als Straftat zu ahnden ist, richtet sich allein nach nationalem Recht.
Für die Strafvorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die relevante Tathandlung die Abgabe einer entsprechenden Steuererklärung gegenüber den Finanzbehörden, in der die unrichtige Rechnung Verwendung findet oder auf sie Bezug genommen wird. Für die Abgrenzung von Versuch und Vollendung ist nach deutschem Recht maßgebend, ob durch die unrichtige Erklärung Steuern verkürzt werden, mithin also ein Steuerschaden wenigstens auf Zeit entstanden ist (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Die Voraussetzung tritt regelmäßig dann ein, wenn aufgrund der falschen Angaben eine zu niedrige Steuer festgesetzt wurde. Ob im Einzelfall eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG vor der Steuerfestsetzung als Rücktritt zu werten sein mag oder jedenfalls im Falle fehlender Freiwilligkeit im Sinne des § 24 StGB nur zu einer Versuchsstrafbarkeit führt, braucht der Senat hier ebensowenig zu prüfen wie die Frage, ob eine Berichtigung nach der Steuerfestsetzung zu einem persönlichen Strafaufhebungsgrund nach § 371 AO führen kann. Im vorliegenden Fall war der Steuerschaden schon in dem ungerechtfertigten Vorsteuerabzug begründet. Die Rechnungen, die den Vorsteuerabzügen zugrunde lagen, hat der Angeklagte jedenfalls bis zur Abgabe der Erklärungen, nicht berichtigt. Da seine Steueranmeldungen mit einer Zahllast endeten, standen sie nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit lag eine zu geringe Steuerfestsetzung vor, die zugleich den Eintritt der Vollendung bewirkte (BGHR AO § 370 Abs. 1 Vollendung 2). Soweit der Angeklagte eigene (möglicherweise berichtigungsfähige) Steuerverbindlichkeiten nach § 14 Abs. 3 UStG gegenrechnen und so einen Steuerschaden beseitigen will, steht dem – wie dargestellt – das Kompensationsverbot entgegen; im übrigen hat er auch diese Rechnungen nicht innerhalb des Veranlagungszeitraumes und auch nicht vor Einleitung eines Steuerstrafverfahrens berichtigt.
2. Die Strafzumessung begegnet dagegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie enthält Rechtsfehler zum Vor- und Nachteil des Angeklagten.
a) Zum Nachteil des Angeklagten hat das Landgericht einer für die Firma L gegebenenfalls bestehenden Berichtigungsmöglichkeit nicht das erforderliche Gewicht beigemessen. Soweit nämlich eine solche besteht, wäre der vom Landgericht festgestellte Schaden in der Höhe dieser Berichtigung nur ein solcher auf Zeit. Für die Bestimmung des Schuldumfangs ist dieser Umstand von erheblicher Bedeutung; denn bei einer Verkürzung auf Zeit ist der Verkürzungserfolg allein im Zinsschaden zu sehen (BGH wistra 1997, 186; vgl. auch Kohlmann aaO § 370 Rdn. 156). Insoweit steht einer möglichen Berichtigung auch nicht das Kompensationsverbot gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO entgegen, weil es sich hierbei um die nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden verschuldeten Auswirkungen der Tat handelt (BGH NJW 2002, 1963, 1965 f.; vgl. Kohlmann aaO Rdn. 166; Gast-de Haan aaO Rdn. 75 jeweils m. w. N.). Auch soweit eine Berichtigung noch nicht erfolgt ist, hat schon die bloße Möglichkeit hierzu als strafmildernder Gesichtspunkt Einfluß auf die Strafzumessung. Nur wenn nämlich ein umsatzsteuerlich neutraler und ausgeglichener Saldo besteht, ist überhaupt eine Berichtigungsmöglichkeit eröffnet.
Dies erfordert allerdings keine detailgenaue Ermittlung der etwaigen Größenordnung von Berichtigungsmöglichkeiten. Der neue Tatrichter wird aber festzustellen haben, hinsichtlich welcher Rechnungen überhaupt eine im Sinne des Umsatzsteuerrechts relevante Gefährdungslage bestand. Dies ist nach den vorgenannten Entscheidungen des Bundesfinanzhofes (UR 2001, 255 und 312), die im Anschluß des Urteils des EuGH im Vorlageverfahren ergangen sind, bei den Sachverhaltskonstellationen nicht der Fall, in denen überhaupt keine Vorsteuer geltend gemacht wurde und die Rechnung zurückgegeben oder storniert ist. Ob aus den Rechnungen, die vom Angeklagten für die Firma L ausgestellt worden waren, Vorsteuern gezogen wurden, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Selbst wenn aber ein Vorsteuerabzug geltend gemacht worden wäre, wäre die Neutralität der Umsatzsteuer wiederum gewahrt, soweit der Rechnungssteller in entsprechendem Umfang Umsatzsteuer abgeführt hat. Dies verlangt deshalb eine Prüfung in zweifacher Hinsicht. Hat der Empfänger von Scheinrechnungen des Angeklagten Vorsteuern geltend gemacht, wären diese durch eigene Steuerzahlungen nach § 14 Abs. 3 UStG durch die Firma des Angeklagten auszugleichen. Soweit der Angeklagte selbst aus an ihn gerichteten Scheinrechnungen für seine Firma Vorsteuern gezogen hat, kommt es darauf an, ob der Aussteller seinerseits Umsatzsteuer gezahlt hat. Für den Angeklagten könnte es sich schließlich jedenfalls schuldmindernd auswirken, wenn er für seine Firma Umsatzsteuer an den Rechnungssteller geleistet hätte, die jedoch von diesem nicht an das Finanzamt abgeführt wurde. Daß eine der vorstehend aufgeführten Fallgruppen gegeben sein könnte, liegt im vorliegenden Fall schon deshalb nahe, weil nach den Feststellungen des Landgerichts der Angeklagte für die Firma L 67.000 DM mehr an Umsatzsteuern abgeführt hatte, als er dies bei korrektem Verhalten hätte tun müssen.
b) Das landgerichtliche Urteil enthält aber auch einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten. Dies führt zum Erfolg der Revision der Staatsanwaltschaft.
aa) Allerdings kann den Erwägungen der Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung nicht gefolgt werden. Sie vertritt die Auffassung, eine Berichtigung von Scheinrechnungen könne nur der Aussteller dieser Rechnungen erreichen. Die Staatsanwaltschaft meint dabei offenbar, daß der Angeklagte die eingetretene Steuergefährdung aus eigener Kraft gar nicht hätte beseitigen können. Wie bereits vorstehend ausgeführt, kann aber auch bei gezogenen Vorsteuern eine Gefährdung dann ausgeschlossen sein, wenn die Umsatzsteuer abgeführt wurde. Auch bei dieser Sachverhaltskonstellation besteht dann eine Berichtigungsmöglichkeit, wenn die unberechtigt gezogene Vorsteuer zurückgezahlt wird. Nach Rückzahlung der Vorsteuer ist dann auch die Rückführung der nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Umsatzsteuer möglich, wodurch wiederum ein ausgeglichener neutraler umsatzsteuerlicher Saldo hergestellt wird (BFH UR 2001, 312, 314). Gleichfalls kann der Staatsanwaltschaft nicht zugestimmt werden, wenn sie meint, eine Berichtigung könne dem Angeklagten nicht strafmildernd zugerechnet werden, weil er erst aktiv wurde, als das Steuerstrafverfahren bereits eingeleitet war. Es kommt nämlich nicht auf die Berichtigung an, sondern auf die Steuergefährdung, deren Beseitigung letztlich die Berichtigungsmöglichkeit auslöst. Wenn der Angeklagte aber aus den von ihm gestellten Rechnungen die ausgewiesene Umsatzsteuer angemeldet und diese auch abgeführt haben sollte bzw. einzelne Rechnungsempfänger möglicherweise keine Vorsteuer gezogen haben, dann sind dies Umstände, die eine Steuergefährdung ausschließen oder zumindest mindern und die zudem vor der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens entstanden sind.
bb) Ein Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergibt sich aber aus einem anderen Grund. Das Landgericht hat nämlich den Umstand nicht berücksichtigt, daß es sich im vorliegenden Fall um ein aus mehreren Beteiligten bestehendes Umsatzsteuerkarussell gehandelt hat. Dies hat Auswirkung auf die Bestimmung des Schuldumfanges.
(1) Solche Karussellgeschäfte sind dadurch geprägt, daß eine Mehrzahl von Personen jeweils gegenüber dem nächsten Glied in der Kette Scheinrechnungen ausstellt. Bei den sogenannten Umsatzsteuerkarussellen wird dieses System – in der Regel grenzübergreifend – betrieben, weil über Vorsteuererstattungen Steuergelder betrügerisch erlangt werden sollen (vgl. hierzu Kühn/Winter, UR 2001, 478 ff.; Merk, UR 2001, 97 ff.). Bei entsprechenden Karussellen ist in der Regel als immer gleichartige Vorgehensweise kennzeichnend, daß in die Kette einzelne oder mehrere Glieder (meist vermögenslose natürliche oder juristische Personen) eingebaut sind, die entweder keine Umsatzsteuer anmelden oder geschuldete Umsatzsteuer nicht abführen. Damit werden in diesem System zwar sämtliche Vorsteuern aus den Scheinrechnungen gezogen, aber nicht sämtliche Umsatzsteuerschulden aus den Scheinrechnungen bezahlt. Der Gewinn entsteht aus der Differenz von voll gezogenen Vorsteuern, aber nicht vollständig abgeführten Umsatzsteuern.
Innerhalb eines solchen Karussellsystems tritt typischerweise die Situation ein, daß aus Sicht eines einzelnen Glieds der Kette die umsatzsteuerlichen Auswirkungen neutral sein können. Werden nämlich von einzelnen Personen in der Kette sämtliche Umsatzsteuern bezahlt und stehen den von dieser Person gezogenen Vorsteuern wieder vom Scheinrechnungsaussteller gezahlte Umsatzsteuern gegenüber, dann wäre aus dem Blickwinkel dieser Person die umsatzsteuerliche Bilanz an sich ausgeglichen. Dies würde zwar bei einer strafrechtlichen Bewertung nicht – wie oben ausgeführt – den Schuldspruch berühren, hätte aber naturgemäß auf die Bestimmung des Schuldumfanges erhebliche Auswirkungen. Bei materieller – die jeweiligen Berichtigungsmöglichkeiten einschließenden – Betrachtung könnte sich dann im Hinblick auf diese Person ein gegen Null konvergierender Steuerschaden ergeben.
(2) Eine solche auf das einzelne Scheinrechnungsverhältnis beschränkte Betrachtung würde – wie der Senat schon in seiner Entscheidung vom 20. März 2002 (NJW 2002, 1963, 1966) angedeutet hat – dem Gesamtunrechtsgehalt nicht gerecht. Dieser wird nämlich nicht durch das einzelne Rechnungsverhältnis geprägt, sondern durch das Karussellsystem als Ganzes, mit dem auf kriminelle Art und Weise Vorsteuerüberschüsse erzielt werden sollen. Jedenfalls soweit den einzelnen Beteiligten die Struktur und die Funktionsweise des Karussells bekannt sind, muß dies auch bei der Feststellung der für die Strafzumessung bestimmenden verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) Gewicht erlangen. Maßgeblich ist deshalb der aus dem Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden, der in dem Überschuß von gezogener Vorsteuer im Vergleich zu gezahlter Umsatzsteuer besteht. Eine solche Zurechnung ist jedenfalls bei den Personen geboten, die sich bewußt in entsprechende Systeme einbinden lassen. Sie spielen nämlich, insbesondere wenn sie über einen eingeführten Betrieb verfügen, als vertrauenswürdige Deckadressen eine nicht zu unterschätzende Rolle für das Gelingen des kriminellen Gesamtunternehmens. Sind diese Betriebe der Finanzverwaltung als zuverlässig bekannt, wird sie auf die kurzfristige Anberaumung von Umsatzsteueraußenprüfungen eher verzichten. Diese Einbeziehung in das Gesamtsystem rechtfertigt es dann auch, den steuerlichen Gesamtschaden, der durch dieses System erzeugt wurde, strafschärfend zu berücksichtigen.
Der neue Tatrichter wird demnach auch zu prüfen haben, inwieweit der Angeklagte in das Gesamtkarussellgeschäft eingeweiht war und gegebenenfalls in welcher Höhe ein deliktischer Steuerschaden entstanden ist.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Raum, Brause
Fundstellen
Haufe-Index 1120938 |
BGHSt |
BGHSt, 343 |
HFR 2003, 180 |
UR 2002, 465 |
NJW 2002, 3036 |
NWB 2002, 2997 |
NStZ 2002, 549 |
NStZ 2003, 213 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2002, 1107 |
wistra 2002, 384 |
PStR 2002, 214 |
StV 2002, 549 |
UStB 2002, 314 |