Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Strafbefreiung wegen Selbstanzeige von Steuergefährdungstatbeständen verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG
Leitsatz (redaktionell)
Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn die unterschiedliche Ausgestaltung der Folgen einer Selbstanzeige von Steuerstraftaten dazu führt, daß ein Täter, der eine Steuerhinterziehung bereits vollendet hat, nach der Selbstanzeige von Gesetzes wegen völlig sanktionsfrei bleibt, während derjenige, der bei ansonsten völlig gleichgelagertem Sachverhalt das Vorbereitungsstadium zur Zeit der Selbstanzeige nicht überschritten hat, ein Bußgeld zu gewärtigen hat.Ein derartiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt jedoch nicht vor, wenn nach den allgemeinen Regeln der Gesetzeskonkurrenz der subsidiäre Gefährdungstatbestand im Falle des Strafausschlusses bzgl. des Verletzungsdelikts wieder auflebt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; AO 1977 §§ 370-371, 378 Abs. 3, § 379; OWiG § 47 Abs. 1
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 07.05.1992; Aktenzeichen 2 Ss 33/92) |
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Verurteilung wegen einer Steuerordnungswidrigkeit.
I.
1. a) Der Beschwerdeführer, ein Steuerberater, betrieb 1989 privat den Verkauf eines Geschäftshauses. Mit den Käufern vereinbarte er einen Kaufpreis von 17.598.000,– DM. In dem notariellen Kaufvertrag vom 2. März 1989 wurde allerdings nur ein Kaufpreis in Höhe von 16.760.000,– DM angegeben, der restliche Kaufpreis, 838.000,– DM, sollte nicht als solcher ausgewiesen werden. Zur Verdeckung dieser Vorgehensweise veranlaßte der Beschwerdeführer seine Ehefrau, eine Maklerin, eine Scheinrechnung über 838.000,– DM als vorgebliche Maklercourtage zu stellen. Wegen Zahlungsschwierigkeiten der Käufer trat der Beschwerdeführer am 20. Dezember 1989 vom Kaufvertrag zurück; zu einer Festsetzung der Grunderwerbsteuer kam es aus diesem Grunde nicht mehr. Mit Schreiben vom 13. März 1990 erstattete der Beschwerdeführer Selbstanzeige, wobei er davon ausging, die zu niedrige Beurkundung des Kaufpreises sei als versuchte Hinterziehung der Grunderwerbsteuer zu werten. Als Motiv für die Niedrigbeurkundung gab er an, er habe die Grundpfandgläubiger, die einen Nachlaß ihrer Forderungen bis zur Höhe des Verkaufserlöses zugesagt hätten, nicht „begehrlich machen” wollen.
b) Das Amtsgericht Tiergarten setzte mit Urteil vom 19. November 1991 gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Steuergefährdung (§ 379 AO) ein Bußgeld in Höhe von 5.000,– DM fest. Mit dem Ausstellen der Scheinrechnung durch seine Ehefrau habe der Beschwerdeführer die Verkürzung von Grunderwerbsteuer möglich gemacht. Da eine Steuerstraftat nicht ersichtlich sei, bleibe kein Raum für eine Selbstanzeige. Eine Ungleichbehandlung derjenigen, die lediglich im Vorfeld einer Steuerverkürzung den Tatbestand des § 379 AO verwirklichten gegenüber denjenigen, die ein Vergehen nach § 370 AO begingen und dann erst von der Möglichkeit der Selbstanzeige Gebrauch machten, sei nicht ersichtlich. Wegen des nicht unerheblichen Umfangs des einschlägigen Geldbetrages sowie der günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei eine Geldbuße im Mittelbereich des bis zu 10.000,– DM reichenden Rahmens des § 379 Abs. 4 AO angebracht.
c) Das Kammergericht verwarf die Rechtsbeschwerde als unbegründet. § 379 AO sehe die Möglichkeit einer Selbstanzeige nicht vor. Die Steuergefährdung sei gegenüber der vorsätzlichen Steuerverkürzung gemäß § 370 AO und der fahrlässigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) subsidiär und könne deshalb nach einhelliger Rechtsprechung und überwiegender Auffassung in der Literatur immer geahndet werden, wenn diese Normen nicht anwendbar seien, sei es aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen. Eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 OWiG unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG sei vorliegend nicht geboten. Selbst wenn die Finanzbehörden grundsätzlich Ordnungswidrigkeiten der Steuergefährdung dann nicht verfolgten, wenn der Täter hinsichtlich einer damit zusammenhängenden Steuerverkürzung Sanktionsfreiheit erlangt habe, enthalte das angefochtene Urteil genügend Feststellungen, die die Verhängung eines Bußgelds vorliegend nicht als gleichheitswidrig erscheinen ließen. Insbesondere der erhebliche Umfang des Geldbetrages und die auf Veranlassung des Beschwerdeführers erfolgte geschickte und intensive Involvierung seiner Ehefrau gäben dem Fall ein Gewicht, der ihn als besonders schwerwiegend erscheinen lasse.
2. a) Der Beschwerdeführer rügt mit seiner rechtzeitigen Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Es sei gleichheitswidrig, wenn der Täter, der tatsächlich Steuern verkürzt habe, bei einer Selbstanzeige straffrei bleibe, während derjenige, der das gleiche Rechtsgut lediglich gefährdet habe, trotz einer Selbstanzeige gemäß § 379 AO belangt werde. Entsprechend einer in der Literatur vertretenen Mindermeinung müßten die Vorschriften über die Selbstanzeige daher auch auf die Steuergefährdung Anwendung finden. Im übrigen habe der Bundesminister für Finanzen in einem Schreiben vom 29. Juli 1981 den Finanzbehörden nahegelegt, eine Steuergefährdung nach Selbstanzeige des Betroffenen in der Regel nicht zu verfolgen. Es sei unwiderleglich zu vermuten, daß diese Empfehlung befolgt werde und so eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten sei. Abweichungen von dieser Praxis seien willkürlich. Die Auffassung des Kammergerichts, ein besonders qualifizierter Verstoß gegen § 379 AO rechtfertige im Einzelfall die Abweichung von der allgemein empfohlenen Verwaltungspraxis, sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, denn auch die besonders qualifizierte Verwirklichung eines Verkürzungstatbestandes stelle die sanktionsbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht in Frage.
b) Der Berliner Senat sowie die Bundesregierung hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Bundesministerium der Finanzen hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Gesetzgeber habe durch die Ermöglichung der Selbstanzeige gemäß §§ 371 und 378 Abs. 3 AO unter engen Voraussetzungen eine Ausnahme vom staatlichen Sanktionsanspruch gewährt, um den Eingang der nach dem Gesetz geschuldeten Steuerzahlungen zu sichern. Die Aufdeckung eines bloßen Gefährdungstatbestandes im Sinne des § 379 AO könne demgegenüber nicht zu einer unmittelbaren Mehrung der Staatseinnahmen führen, so daß der fiskalische Grund für ein Absehen von der Verfolgung hier nicht vorliege. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers entfalle bei einer wirksamen Selbstanzeige nach §§ 371 oder 378 Abs. 3 AO auch die Verfolgbarkeit der Ordnungswidrigkeit gemäß § 379 AO nicht. Wie in vergleichbaren Fällen des allgemeinen Strafrechts wirke sich die tätige Reue nur auf das Verletzungsdelikt, nicht auch auf das vorgelagerte subsidiäre Gefährdungsdelikt aus. Dies stehe der Anreizwirkung einer steuerrechtlichen Selbstanzeige nicht entgegen, denn die mögliche maximale Geldbuße von 10.000,– DM gemäß § 379 AO falle gegenüber der Strafdrohung des § 370 AO, nämlich Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, oder auch gegenüber dem bis zu 100.000,– DM reichenden Bußgeldrahmen des § 378 AO, nicht erheblich ins Gewicht. Es sei hinsichtlich der Sonderheiten des vorliegenden Falles auch nicht ersichtlich, daß die Gerichte von Verfassungs wegen gehalten gewesen wären, das Ordnungswidrigkeiten-Verfahren gemäß § 47 OWiG einzustellen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Den durch sie aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
1. Das Fehlen einer Vorschrift über tätige Reue in § 379 AO ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Der Gesetzgeber kann ein Verhalten, das er als sanktionswürdig erachtet, durch eine Strafrechts- oder Ordnungswidrigkeitennorm ahnden (vgl. BVerfGE 23, 113 ≪124≫; 50, 142 ≪166≫). Dementsprechend ist es ihm auch nicht verwehrt, Straffreiheit für bestimmte Handlungen zu gewähren, einzelne Deliktsgruppen von einer generellen Regelung auszunehmen oder für bestimmte Tatbestände eine Sonderregelung zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zu überprüfen, ob der Gesetzgeber im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat; es hat lediglich darüber zu wachen, daß die Entscheidung in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung steht und auch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen entspricht (BVerfGE 51, 60 ≪74≫). Das ist hier der Fall, insbesondere liegt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vor. Ein solcher käme allenfalls in Betracht (vgl. BVerfGE 50, 142 ≪166≫), wenn ein Täter, der eine Steuerhinterziehung bereits vollendet hat, bei Selbstanzeige von Gesetzes wegen völlig sanktionsfrei bliebe, während derjenige, der bei ansonsten völlig gleichgelagertem Sachverhalt das Vorbereitungsstadium zur Zeit der Selbstanzeige nicht überschritten hat, ein Bußgeld zu gewärtigen hätte. Dem ist jedoch nicht so. Nach der in der Rechtsprechung einhelligen und in der Literatur herrschenden Auffassung (vgl. OLG Celle, MDR 1980, S. 77; BayObLG NJW 1981, S. 1055 ≪zu § 380 AO≫; Brenner, StW 1981, S. 147 ≪148 ff.≫; Dörn, wistra 1995, S. 7 ≪9≫; Klos, NJW 1996, S. 2336 ≪2340≫; Mösbauer, wistra 1991, S. 41 ≪46≫; Rüping in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO – FGO: Kommentar, 10. Aufl., § 379 AO Rn. 98; Scheurmann-Kettner in: Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., Rn. 4 vor § 379; Schwarz, AO, 71. Lfg 1995, § 379 Rn. 22), die auch den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegt, kommt die Bußgeldnorm in beiden Fällen gleichermaßen zur Anwendung. Nach den allgemeinen Regeln der Gesetzeskonkurrenz lebe nämlich der subsidiäre Gefährdungstatbestand wieder auf, wenn hinsichtlich des Verletzungsdelikts ein Strafaufhebungsgrund greife. Gegen diese Auslegung ist von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Sie führt genausowenig zu einer Ungleichbehandlung wie die Auffassung der Mindermeinung, wonach bei einer den Anforderungen entsprechenden Selbstanzeige die Steuergefährdung in keinem Fall verfolgbar bleibe (vgl. etwa Kohlmann, Steuerstrafrecht, 23. Lfg 1995, § 379 Rn. 74; Vogler in: Festschrift Bockelmann, 1979, S. 715 ≪727≫). Die Prüfung, welche dieser Auffassungen nach der einfachen Gesetzeslage vorzugswürdig ist, ist alleine Aufgabe der Fachgerichte, das Bundesverfassungsgericht hat dies nicht zu beurteilen.
2. Die Verurteilung des Beschwerdeführers durch die Fachgerichte im vorliegenden Fall ist von Verfassungs wegen ebenfalls nicht zu beanstanden.
Die Gerichte haben hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht etwa schematisch eine Verfahrenseinstellung gemäß § 47 OWiG davon abhängig machen, welches Stadium die Tat zur Zeit der Selbstanzeige erreicht hat, sondern daß sie eine Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vornehmen. Eine solche Anwendung des § 47 OWiG wird Art. 3 Abs. 1 GG gerecht. Die Erwägungen, aufgrund derer die Gerichte eine die Einstellung ausschließende Bedeutung der Ordnungswidrigkeit angenommen haben, sind nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als die Mahnfunktion eines Bußgelds nach der AO gegenüber einem den Beruf des Steuerberaters ausübenden Betroffenen besonders hoch anzusetzen ist und die Motivation des Beschwerdeführers nach seinen eigenen Angaben darin bestand, die Grundpfandgläubiger über den tatsächlichen Erlös aus dem Grundstücksverkauf zu täuschen und sie dadurch zu schädigen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
HFR 1998, 126 |
wistra 1997, 297 |