Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristenregelung des § 175a AO, Erstattungsverfahren nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, Fristberechnung nach § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Fristenregelung des § 175a AO ist nur anzuwenden auf Steuerbescheide, die Gegenstand des Verständigungsverfahrens waren.
2) Die Frist nach § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG stellt eine Antragsfrist und zugleich auch eine spezielle Festsetzungsfrist dar. Gegen diese Fristenregelung bestehen keine europarechtlichen Bedenken.
3) Fallen der Ablauf der Frist für die Beantragung einer Steuervergütung und der Ablauf der Festsetzungsfrist zeitlich zusammen und wird ein Vergütungsantrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist und damit nach dem Erlöschen des Vergütungsanspruchs gestellt, kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit der Folge einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO nicht gewährt werden.
Normenkette
EStG § 44 Abs. 1, §§ 44a, 44b Abs. 3 S. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 50d Abs. 1 Sätze 2-3, 7-8, § 52 Abs. 59a; KStG § 31 Abs. 1 S. 1; DBA-Niederlande Art. 22; OECD-MA Art. 25 Abs. 2 S. 2; AO §§ 110, 155 Abs. 1 S. 3, § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 3, § 175 a Abs. 1 S. 2; EStG § 43b
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen I B 90/15) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die Frist für die Erstattung von Kapitalertragsteuer versäumt hat, ob ihr ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder hilfsweise eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu gewähren ist.
Die Klägerin hielt im Streitjahr 1999 einen i.S.d. Mutter-Tochter-Richtlinie zur Freistellung berechtigenden Anteil an der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen A GmbH in B.
Für die Jahre 1995 bis 1999 fand bei der A GmbH eine Außenprüfung statt. Im Zeitpunkt der Betriebsprüfung war Herr C Geschäftsführer sowohl der A GmbH als auch der Klägerin. Die Prüfer erachteten bestimmte betriebliche Vorgänge („Lizenzen”) als verdeckte Gewinnausschüttungen an die Klägerin. Infolgedessen ergingen am 30. Dezember 2002 geänderte Körperschaftsteuerbescheide. Hiergegen wurde Einspruch eingelegt und schließlich ein Verständigungs- und Schiedsverfahren mit den Niederlanden eingeleitet. Die A GmbH wurde während der Betriebsprüfung und im Verständigungsverfahren durch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Q Deutschland, vertreten. Die Inlandssachverhalte wurden während der Betriebsprüfung von dem ständigen steuerlichen Berater der A GmbH, Herrn G, betreut, dem auch die spätere Umsetzung der Verständigungsvereinbarung in der Buchhaltung der A GmbH oblag. Das Verständigungsverfahren führte am 15. August 2006 zu einer Einigung. Daraufhin wurde die Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland teilweise zurückgenommen. Das Finanzamt K übersandte der A GmbH sodann im Oktober 2006 den Inhalt des schriftlichen Protokolls der Verständigungsvereinbarung vom 27. September 2006. Die A GmbH stimmte der Verständigungsvereinbarung und deren Umsetzung im Februar 2007 zu. Der seinerzeit niederländische Bevollmächtigte der Klägerin (Q/NL) wurde mit Schreiben des niederländischen Finanzministeriums vom 15. März 2007 über den Inhalt der Verständigungsvereinbarung informiert (Bl. 118 f. der FG-Akte, inoffizielle englische Übersetzung Bl. 120 f. der FG-Akte). Die Klägerin wurde im Verständigungsverfahren von der niederländischen Q vertreten. Aufgrund der Ergebnisse der Verständigungsvereinbarung und der Änderung der Steuerbescheide änderte die A GmbH im Mai 2007 die bestehende Kapitalertragsteueranmeldung für das Streitjahr 1999 gegenüber dem Finanzamt K. Der für das Streitjahr 1999 angemeldete Steuerbetrag i.H.v. 29.012,23 € wurde am 13. bzw. 22. Juni 2007 vom Finanzamt K eingezogen.
Am 25. Januar 2008 stellte die Klägerin per Telefax einen Antrag auf Erstattung dieser Kapitalertragsteuer. Zugleich beantragte sie hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antrag ist dem Beklagten am 29. Januar 2008 in Papierform per Post zugegangen. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trug die Klägerin vor, dass sie die Frist ohne Verschulden versäumt habe. Die A GmbH habe trotz der Abgabe der geänderten Kapitalertragsteueranmeldungen versehentlich keine Steuerbescheinigungen ausgestellt und an sie übermittelt. Sie habe daher nicht gewusst, ob und in welcher Höhe Kapitalertragsteuer einbehalten und wann diese gezahlt worden sei. Da die Kapitalertragsteuer von der A GmbH im Jahr 2006 im Hinblick auf verdeckte Gewinnausschüttungen in den Jahre 1998 und 1999 zu zahlen gewesen sei und folglich keine Dividendenzahlungen an sie, die Klägerin, erfolgt seien, sei diese Unkenntnis der Zahlungen nicht verwunderlich. Hinzu komme, dass sie aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht davon habe ausgehen müssen, dass Kapitalertragsteuer einbehalten werde und dass ein entsprechender Antrag auf Erstattung dieser Beträge erforderlich sei. Die de...