Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzte Anfechtbarkeit eines Änderungsbescheides
Leitsatz (redaktionell)
1. Voraussetzung für die beschränkte Anfechtbarkeit eines Änderungsbescheids nach § 351 Abs. 1 AO ist, dass die Änderung einen formell unanfechtbaren Bescheid betrifft.
2. Ergeht der ändernde Bescheid, solange der Erstbescheid noch nicht unanfechtbar ist, kann er, ohne dass § 351 Abs. 1 AO eingreift, unbeschränkt angegriffen werden.
Normenkette
AO § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 351 Abs. 1, § 355; FGO § 44 Abs. 1, § 100 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 133, 157
Tenor
1. Die Einspruchsentscheidung vom 4. August 2008 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Steuerfestsetzung geändert werden kann.
I.
Die Klägerin erzielt als Vorstandsvorsitzende einer Aktiengesellschaft Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.
Der Beklagte, das Finanzamt (FA), folgte im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 19. Oktoer 2006 den Angaben in der am 27. Juli 2006 abgegebenen Einkommensteuererklärung ohne Abweichungen und setzte die Einkommensteuer auf 23.473 EUR fest. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2006 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihren steuerlichen Bevollmächtigten, eine Berichtigung der Veranlagung nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), da bei der Berechnung des Höchstbetrages für die Vorsorgeaufwendungen der ungekürzte Vorwegabzug zu berücksichtigen sei. Das FA entsprach dem Berichtigungsantrag und änderte mit Einkommensteuerbescheid 2004 vom 10. November 2006 – vor Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist – unter Berücksichtigung des ungekürzten Vorwegabzugs in Höhe von 3.068 EUR bei den Vorsorgeaufwendungen die Steuerfestsetzung und setzte die Einkommensteuer auf 22.092 EUR herab. Als Änderungsvorschrift gab das FA den § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO an und begründet dies damit, dass im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 19. Oktober 2006 kein Vorbehalt der Nachprüfung angeordnet gewesen sei.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2006 beantragte der steuerliche Vertreter der Klägerin erneut eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO und begehrte die nachträgliche Berücksichtigung von Umzugskosten in Höhe von 3.000 EUR als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und begründete dies damit, dass der Umzug beruflich veranlasst gewesen sei.
Das FA vertrat die Auffassung, dass dieses Schreiben als Einspruch auszulegen sei und dass dieser Einspruch keine Erfolgsaussichten habe, da durch den Umzug die erforderliche Verkürzung der Fahrtzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht erreicht werde. Auch ein sog. schlichter Änderungsantrag habe keine Erfolgsaussichten. Ein Antrag auf schlichte Änderung verhindere nicht, dass der Steuerbescheid im Übrigen bestandskräftig werde. Deshalb sei der Erstbescheid vom 19. Oktober 2006 mit Ablauf des 23. November 2006 bestandskräftig geworden, soweit er nicht durch den Änderungsantrag vom 25. Oktober 2006 offen geblieben sei. Diesem Änderungsantrag vom 25. Oktober 2006 sei in vollem Umfange entsprochen worden. Der weitere, nach Ablauf der ersten Rechtsbehelfsfrist gestellte Änderungsantrag vom 13. Dezember 2006 sei deshalb wegen des Fristablaufs unzulässig.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass sowohl ihr Änderungsantrag als auch ein Einspruch zulässig sei. Im Übrigen ergäbe sich eine Änderungsbefugnis auch aus § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, denn die noch im Veranlagungszeitraum 2004 erfolgte Zahlung der Umzugskosten würde eine nachträglich bekannt gewordene steuermindernde Tatsache darstellen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. August 2008 hat das FA den Einspruch der Klägerin als unzulässig verworfen. Da das FA dem Änderungsantrag der Klägerin vom 25. Oktober 2006 voll entsprochen habe, sei ein Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 10. November 2006 mangels Beschwer unzulässig. Außerdem unterläge der Änderungsbescheid der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO. Nach Eintritt der teilweisen Bestandskraft des Erstbescheides könne dieser Änderungsbescheid nur noch insoweit angegriffen werden, als die Änderung reiche. Da die Steuer im Änderungsbescheid vom 10. November 2006 niedriger festgesetzt worden sei als im Erstbescheid von 19. Oktober 2006, könne durch einen Einspruch gegen den Änderungsbescheid keine weitere Herabsetzung erreicht werden. Eine Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide aus, da die Klägerin ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Umzugskosten träfe.
Dagegen richtet sich die Klage. Die Voraussetzungen des § 351 Abs. 1 AO seien nach den Ausführungen im Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 27. September 2008 (VI 436/20...