Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmter Sachverhalt i.S.v. § 174 Abs. 4 AO
Leitsatz (redaktionell)
1) Das Vorliegen eines gewerblichen Grundstückshandels in verschiedenen Jahren ist ein "bestimmter Sachverhalt" i.S.v. § 174 Abs. 4 AO.
2) Die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO setzt nicht voraus, dass die Berücksichtigung eines Sachverhalts in dem einen Bescheid die Berücksichtigung in dem anderen Bescheid zwingend ausschließt.
Normenkette
AO § 174 Abs. 4
Tatbestand
I.
Streitig ist die Änderung einer Einkommensteuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 Abgabenordnung (AO).
Die Kläger sind Eheleute, die gemäß §§ 26, 26b Einkommensteuergesetz (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Der 1939 geborene Kläger ist ehemaliger, seit 1999 pensionierter Polizeibeamter; die 1945 geborene Klägerin ist Arzthelferin und war bis 2000 in einem Krankenhaus nichtselbstständig tätig. Der gemeinsame Sohn der Kläger ist Bankkaufmann und war Vorstandsmitglied einer Wertpapierhandelsbank.
In den Jahren 1999 bis 2001 tätigten die Kläger unter Mithilfe ihres Sohnes jeweils zahlreiche Wertpapierankäufe- und -verkäufe, die sie zum größten Teil über Depots bei diversen Brokern und Banken sowie ab Ende 1999 teilweise direkt mit den Käufern bzw. Verkäufern abwickelten. Sie erklärten hieraus in ihren Einkommensteuer-Erklärungen der Jahre 1999 bis 2001 jeweils Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus privaten Veräußerungsgeschäften. Der Beklagte führte die Veranlagungen zunächst antragsgemäß durch.
Bei anschließend bei den beiden Klägern durchgeführten Betriebsprüfungen für die Jahre 1999 bis 2001 vertrat der Prüfer nach Feststellung der Anzahl und der Abwicklung der Wertpapiergeschäfte die Auffassung, die Kläger seien jeweils als Finanzunternehmen im Sinne von § 1 Abs. 3 des Kreditwesengesetzes (KWG) tätig gewesen. Die Finanzgeschäfte hätten jeweils den Tätigkeitsschwerpunkt der Kläger ausgemacht. Diese hätten auch jeweils direkt mit den institutionellen Partnern gehandelt und nicht über eine Depotbank am Marktgeschehen teilgenommen. Insoweit liege keine private Vermögensverwaltung, sondern ab 1998 eine gewerbliche Tätigkeit vor.
Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit ermittelte der Prüfer gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG für den Kläger für 1999 mit 802.543,78 DM, für 2000 mit 4.726.432,97 DM und für 2001 mit ./. 2.523.100 DM sowie für die Klägerin für 1999 mit 1.168.642,75 DM, für 2000 mit 2.616.174,84 DM und für 2001 mit ./. 253.624 DM.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Betriebsprüfungsberichte vom 25.7.2006 Bezug genommen.
Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers, erließ am 6.11.2006 entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2001 und hob jeweils den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der geänderte Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 6.11.2006, in dem aufgrund der vom Prüfer ermittelten gewerblichen Verluste die Einkommensteuer –von bisher 5.014,75 EUR– auf 0,00 EUR herabgesetzt worden war, wurde bestandskräftig. Die geänderten Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000 vom 6.11.2006 wurden mit Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14.9.2011 10 K 2/08 E aufgehoben, da das Gericht dem Antrag der Kläger folgend die An- und Verkäufe der Wertpapiere nicht als gewerblichen Wertpapierhandel, sondern als private Vermögensverwaltung ansah. Das anschließende Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision wurde nach Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Beklagten mit Beschluss des BFH vom 1.12.2011 X B 142/11 eingestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil und den Beschluss Bezug genommen.
Mit geändertem Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 1.12.2012 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2001 auf 5.014,75 EUR fest. Hierbei berücksichtigte er bezüglich der Wertpapiergeschäfte statt der zuvor mit Bescheid vom 6.11.2006 angesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb wieder die ursprünglich erklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus privaten Veräußerungsgeschäften. In den Erläuterungen zum Bescheid führte er aus, die Änderung erfolge gemäß § 174 AO, da gerichtlich festgestellt worden sei, dass es sich bei den Einkünften aus den Wertpapiergeschäften nicht um gewerbliche Einkünfte, sondern um Vorgänge der privaten Vermögensebene handele.
Mit der hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage vertreten die Kläger die Auffassung, die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 EStG hätten nicht vorgelegen. Bei ihren Wertpapierankäufen und -verkäufen der Jahre 1999 und 2000 und denen des Jahres 2001 handele es sich nicht um einen „bestimmten Sachverhalt” im Sinne des § 174 Abs. 4 S. 1 AO, sondern um unterschiedliche Sachverhaltskomplexe, die jeweils einer eigenen rechtlichen Beurteilung unterlägen. Eine Sachverhaltsidentität liege nicht vor, da im Hinblick auf die in § 2 Abs. 7 EStG geregelte Abschnittsbesteuerung die An- und Verkäufe jedes einzelnen Veranlagungszeitraums eigenständig zu beurteilen seien. Dabei könne eine irrige Beurteilung der An- und Verkäufe in den Jahren 1999 und 2000 nicht zu einer Korrekturmöglichkeit hinsi...