Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswahlermessen bei mehreren Haftungsschuldnern
Leitsatz (amtlich)
Das Auswahlermessen gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 5 AO wird bei der Inanspruchnahme eines von zwei Geschäftsführern einer GmbH fehlerhaft ausgeübt, wenn vom Haftungsschuldner im Einspruchsverfahren vorgetragene besondere Umstände in der Einspruchsentscheidung bei der Abwägung der Für und Wider seine Inanspruchnahme sprechenden Gründe keine Berücksichtigung finden.
Normenkette
AO §§ 5, 191 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat.
In den Jahren 2003 bis 2004 war der Kläger neben Herrn U. B. alleinvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer der ... GmbH Gebäudereinigung und Dienste - im Folgenden: GmbH - mit Geschäftssitz in L. Die GmbH wurde im Jahr 1988 gegründet. Ihr Stammkapital betrug 50.000,-- DM. Gründungsgesellschafter waren Herr B mit einem Anteil von 90 % und seine Ehefrau mit einem Anteil von 10 %. Im Frühjahr 1995 trat Herr B dem Kläger einen Geschäftsanteil in Höhe von 10.000,-- DM ab. Zugleich wurde der Kläger neben Herrn B zum alleinvertretungsberechtigten Mitgeschäftsführer der GmbH bestellt. Die GmbH war im gesamten Bundesgebiet tätig.
Gemäß § 2 des Dienstvertrages vom 17. März 1995 hatte der Kläger die Geschäfte der Gesellschaft nach Maßgabe des Gesetzes und des Gesellschaftsvertrages zu führen und hierbei die von der Gesellschafterversammlung erteilten Weisungen zu befolgen. Aus dem Dienstvertrag ging nicht hervor, dass der Kläger von der Wahrnehmung der steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft ausgeschlossen war und sich seine Geschäftsführungsbefugnis auf das operative Geschäft, insbesondere die Betreuung der Niederlassungsleiter und die Kundenpflege beschränkte. Dies ergab sich nach Angaben des Klägers aus der internen Aufgabenverteilung. Hiernach soll Herr B von L aus im Wesentlichen für die buchhalterischen und steuerlichen Angelegenheiten zuständig gewesen sein, während der Kläger von seinem Büro in S aus für das operative Geschäft, d. h. die Betreuung der Niederlassungsleiter und die Pflege der Kontakte zu den Kunden zuständig gewesen sein soll.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2006 trat der Kläger von seiner Geschäftsführerstellung bei der GmbH zurück und bat zur Beurkundung dessen, um einen Termin bei einem Notar (vgl. die Zivilakte 2-01 O 144/06, Bl.26). Am 23. Oktober 2006 wurde der Geschäftsanteil des Klägers eingezogen und zu jeweils 5.000,-- DM Herrn B und seiner Frau zugewiesen. Zugleich wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen (Insolvenzakte - Ins-Akte -, Bl.125 ff. Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 28. September 2007 [Bl.130]).
Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts F vom 20. Juni 2007 - in dem Verfahren ... O .../06 - verzichtete der Kläger für die Zeit von Januar 2004 bis Juni 2006 aufgrund der zwischen ihm und der GmbH bestehenden Vereinbarung auf ihm zustehende Geschäftsführervergütungen in Höhe von 115.000,-- € (vgl. die Akte ... O .../06, Bl.21, 28 und 134). Zudem gewährte er der GmbH im Jahr 2003 ein Darlehen über 50.000,-- € (vgl. die Akte ... O .../06, Bl.21, 85, 90 und 134).
Mit Schreiben vom 15. März 2003 forderte der Beklagte die GmbH auf, Steuerrückstände in Höhe von 126.932,91 € bis zum 23. Mai 2003 zu begleichen (Vollstreckungsakte - V-Akte -, Band I, Bl.1-3). Trotz in der Folgezeit gewährter Vollstreckungsaufschübe erhöhten sich die von der GmbH geschuldeten Steuern bis zum 9. Juli 2004 auf 459.609,29 € (V-Akte, Bd.I, Bl.186). Die Pfändungsversuche des Vollziehungsbeamten und die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der GmbH verliefen fruchtlos. Am 7. August 2007 beantragte der Beklagte wegen Abgabenrückständen in Höhe von 556.246,27 € beim Amtsgericht M die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Mit Beschluss vom 1. Oktober 2007 hat das Amtsgericht M in dem Verfahren ... IN .../07 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und Herrn Rechtsanwalt T zum Insolvenzverwalter bestellt (Ins-Akte, Bl.197). Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH läuft noch.
Mit Schreiben vom 23. November 2005 wies der Beklagte den Kläger auf die Steuerschulden der GmbH in Höhe von 470.931,92 € sowie auf die Haftungsgrundlagen der gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person gemäß § 191 AO i. V. m. §§ 34, 69 AO hin und führte aus, dass der Kläger als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft i. S. des § 34 AO (vgl. § 35 GmbHG) verpflichtet gewesen sei, aus den verwalteten Mitteln die Rückstände aus dem Steuerschuldverhältnis zu tilgen. Dies sei nicht geschehen, weshalb er bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Pflichtverletzung persönlich für die rückständigen Ansprüche hafte. Er beabsichtige, sofern er seine Pflicht zur Zahlung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt haben sollte, ihn in Höhe der vorbezeichneten Beträge in Anspruch zu nehmen. Zur Überprüfung, ob die Steueransprüche entspreche...