Tz. 30

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Diese sind immer dann gegeben, wenn nach summarischer Prüfung des glaubhaft gemachten Sachverhaltes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Sachverhaltsfragen bewirken (BFH v. 27.03.1996, I B 30/95, BFHE 180, 15; BFH v. 04.06.1991, IX R 12/89, BStBl II 1991, 759).

 

Tz. 31

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Obsiegen im Einspruchsverfahren muss nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden (BFH v. 05.06.1966, II S 23/66, BStBl III 1966, 467); es muss noch nicht einmal wahrscheinlicher sein als das Unterliegen (BFH v. 27.09.1994, VIII B 21/94, BFHE 175, 516). Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg.

 

Tz. 32

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Unklarheiten bezüglich des Sachverhaltes begründen regelmäßig ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Diese liegen immer dann vor, wenn die Finanzbehörde von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Unklarheit darauf beruht, dass der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt hat und die Finanzbehörde deshalb zur Schätzung veranlasst wurde. Die Behauptung des Steuerpflichtigen, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen entsprechen nicht dem Schätzungsergebnis, begründet keine ernstlichen Zweifel (Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rz. 94). Ist aber eine Schätzung in sich unschlüssig oder nicht überzeugend begründet, so bestehen ernstliche Zweifel (Birkenfeld in HHSp, § 361 AO Rz. 185).

 

Tz. 33

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Trägt das Finanzamt die Feststellungslast für alle nicht aufklärbaren steuerbegründenden und -erhöhenden Tatsachen, so genügt es für ernstliche Zweifel, dass der vom Steuerpflichtigen vorgetragene Sachverhalt als möglich erscheint und nicht nach allgemeiner Lebenserfahrung offensichtlich unrichtig ist. Die Unklarheit im Sachverhalt führt jedoch dann nicht zu ernstlichen Zweifeln, wenn der Antragsteller für steuermindernde und -befreiende Tatsachen die Feststellungslast trägt und ihr Vorliegen nicht absehbar ist (BFH v. 24.04.1985, II B 28/84, BStBl II 1985, 520; BFH v. 22.09.1993, V B 113/93, BFH/NV 1994, 282 für den Vorsteuerabzug, wenn eine Identifizierung des leistenden Unternehmers anhand der Rechnung nicht möglich ist; BFH v. 17.05.1994, XI B 81/93, BFH/NV 1995, 171 für den Vorsteuerabzug, wenn der angeblich leistende Unternehmer tatsächlich nicht in der Lage ist, die Leistung zu erbringen).

 

Tz. 34

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zweifel in der Beurteilung der Rechtsfragen können sich sowohl aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, als auch aus Entscheidungen der Finanzgerichte, aus Verwaltungsvorschriften und Literaturmeinungen ergeben. Damit sind Unsicherheiten aus rechtlichen Gründen nicht bereits dann ausgeschlossen, wenn sich die Finanzbehörde auf die h. M. oder auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung beruft. Entscheidend ist, ob dieser Auffassung in Literatur und Lehre neue gewichtige Argumente entgegengebracht werden, die bislang noch keine Berücksichtigung gefunden haben (BFH v. 17.02.1970, II B 58/69, BStBl II 1970, 333). Zweifel bestehen insbes., wenn die Rechtsprechung der Senate des BFH uneinheitlich ist und der GrS noch nicht angerufen wurde (AEAO zu § 361, Nr. 2.5.2), die Rechtsfrage von zwei obersten Bundesgerichten unterschiedlich entschieden wurde (BFH v. 21.11.1974, IV B 39/74, BStBl II 1975, 175), eine neue Rechtsfrage noch nicht geklärt wurde (BFH v. 03.02.1993, I B 90/92, BStBl II 1993, 426), eine noch nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage im Schrifttum oder im Verhältnis zur Finanzverwaltung unterschiedlich beurteilt wird (BFH v. 19.08.1987, V B 56/85, BStBl II 1987, 830) oder die Finanzverwaltung von einer höchstrichterlich zugunsten des Steuerpflichtigen entschiedenen Auffassung abgewichen ist (BFH v. 15.12.1967, VI S 2/66, BStBl III 1967, 256).

 

Tz. 35

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die mögliche Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm kann dann ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit hervorrufen, wenn das BVerfG sie "wahrscheinlich für verfassungswidrig erklären muss" (BFH v. 21.05.1992, X B 106/91, BFH/NV 1992, 721). Ob schwerwiegende öffentliche Interessen, insbes. das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung, das Aussetzungsinteresse dennoch überwiegen können (so BFH v. 10.02.1984, III B 40/83, BStBl II 1984, 454) erscheint höchst fragwürdig. Ist der Grad der wahrscheinlichen Verfassungswidrigkeit sehr hoch, so wird immer dem Aussetzungsinteresse der Vorzug zu geben sein und hat in weniger eindeutigen Fällen eine konkrete Abwägung zu erfolgen. Das öffentliche Interesse an einer geo...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge