Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 175 AO ordnet nur die Änderung solcher Steuerbescheide an, für die der Grundlagenbescheid Bindungswirkung entfaltet (s. § 182 AO Rz. 2 ff.). Dies ist anzunehmen, soweit die in dem Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen für den Folgebescheid von Bedeutung sind. Für die Annahme einer Bindungswirkung ist grds. eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich (BFH v. 30.06.2005, IV R 11/04, BStBl II 2005, 809 m. w. N.). Fehlt eine solche, hat ein Bescheid nur dort Bindungswirkung, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachprüfen kann (BFH v. 20.08.2009, V R 25/08, BStBl II 2010, 15; BFH v. 28.03.2012, II R 39/10, BStBl II 2012, 712). Liegt eine solche Bindungswirkung vor, müssen die Regelungen im Grundlagenbescheid ohne weitere Überprüfung im Verfahren um den Erlass des Steuerbescheids (Folgebescheid) übernommen werden. So ist z. B. nicht nur eine vom Feststellungs-FA mitgeteilte geänderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen bindend. Auch die gleichzeitig geänderte Feststellung der Steuerabzugsbeträge sowie der anrechenbaren KSt hat gem. § 182 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Halbs. 1 AO Bindungswirkung für die mit dem geänderten Steuerbescheid verbundene Anrechnungsverfügung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Diese ist gem. § 182 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AO in entsprechender Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen (BFH v. 29.10.2013, VII R 68/11, BFH/NV 2014, 393).
Tz. 6
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Grundlagenbescheide können gegenüber bestimmten Steuerbescheiden Bindungswirkung haben, gegenüber anderen Steuerbescheiden nicht. Die Bindungswirkung setzt aber die Wirksamkeit des Grundlagenbescheids voraus, ein nichtiger Grundlagenbescheid erzeugt keine Bindungswirkung (BFH v. 16.03.1993, XI R 42/90, BFH/NV 1994, 75). Daher darf an einen nichtigen und damit unwirksamen Grundlagenbescheid (§§ 125, 124 Abs. 3 AO) der Folgebescheid nicht angepasst werden (BFH v. 12.07.2005, II R 10/04, BFH/NV 2006, 228). Umgekehrt ist daher der Folgebescheid gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn die Finanzbehörde nachträglich durch Verwaltungsakt die Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids gem. § 125 Abs. 5 AO feststellt (BFH v. 20.08.2014, X R 15/10, BStBl II 2015, 109). Keine Bindungswirkung hat ein Grundlagenbescheid, der vor einer Anpassung des Folgebescheids aufgehoben wird (FG Ddorf v. 18.01.2005, 9 K 3270/04 E, EFG 2006, 388). Jedoch hängt die Bindungswirkung nicht davon ab, ob der Grundlagenbescheid rechtmäßig, bestandskräftig oder vollziehbar ist (BFH v. 16.03.1993, XI R 42/90, BFH/NV 1994, 75). Abgesehen davon ist ein Folgebescheid, der auf einem nichtigen Grundlagenbescheid beruht, zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig i. S. des § 125 Abs. 1 AO (BFH v. 20.08.2014, X R 15/10, BStBl II 2015, 109).
Tz. 7
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Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf eine bloß mechanische Übernahme von Zahlen. Sie steht vielmehr weitergehend jedem Ansatz der gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlage im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des Grundlagenbescheids widersprechen würde (BFH v. 09.04.2003, X R 38/00, BFH/NV 2003, 1035). Der Umfang der Bindungswirkung bestimmt sich nach dem Tenor des Grundlagenbescheides. Dieser kann nicht nur den Umfang bspw. einer Steuerermäßigung festlegen, sondern kann auch die Art und Weise der Gewährung regeln (z. B. "die Hälfte der gesetzlichen Beträge" als Ermäßigung regeln, s. BFH v. 23.08.2000, X R 63/96, BFH/NV 2001, 729). Ein Grundlagenbescheid, der einen gleichartigen, dem Inhaltsadressaten wirksam bekannt gegebenen Steuerverwaltungsakt in seinem verbindlichen Regelungsgehalt nur wiederholt, löst hingegen keine Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus und wirkt auch nicht nach § 171 Abs. 10 AO auf den Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid ein (so BFH v. 06.07.2005, XI R 43/04, BFH/NV 2006, 227; BFH v. 13.12.2000, X R 42/96, BStBl II 2001, 471). Enthält ein geänderter Grundlagenbescheid aber zugleich eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) und ist er damit nach § 164 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO wie eine erstmalige Feststellung zu werten, dann ist sein Regelungsinhalt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO in vollem Umfang und ohne Bindung an in der Vergangenheit bereits erfolgte Übernahmen aus vorangegangenen Feststellungsbescheiden in den Folgebescheid zu übernehmen (BFH v. 21.01.2014, IX R 38/13, BFH/NV 2014, 1112; s. Rz. 22).
Tz. 8
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Eine § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ähnliche Regelung enthält § 35b GewStG, wonach GewSt-Messbescheide von Amts wegen an geänderte ESt-, KSt- oder Gewinn- bzw. EW-Feststellungsbescheide anzupassen sind, die den gewerblichen Gewinn oder den EW des gewerblichen Betriebes als Grundlage des Gewerbeertrages bzw. Gewerbekapitals regeln. Aus der Sonderregelung des § 35b GewStG ergibt sich, dass ESt-, KSt- sowie...