Tz. 85

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Ablaufhemmung, für die bereits die bloße Einleitung des Strafverfahrens ausreicht (s. Rz. 82), dauert bis zur Unanfechtbarkeit der aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide. Auf eine Verurteilung des Stpfl. oder eine anderweitige Einstellung des Steuerstrafverfahrens kommt es danach nicht an. Auch hier bleiben Pro-forma-Ermittlungen ohne Auswirkung. Führen die Ermittlungen nicht zum Erlass von Festsetzungsbescheiden oder entsprechenden anderen Verwaltungsakten (z. B. Aufhebung von Vergütungsbescheiden), endet die Ablaufhemmung mit der diesbezüglichen abschließenden Behördenentscheidung, die zweckmäßigerweise dem Stpfl. mitzuteilen ist (§ 171 Abs. 5 Satz 1 2. Halbs. AO i. V. m. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO; s. Rz. 80). § 171 Abs. 5 AO bestimmt keine Frist, innerhalb derer die Ermittlungsergebnisse durch den Erlass von Steuerbescheiden auszuwerten sind. Der Erlass eines Änderungsbescheids soll im Anschluss an eine Fahndungsprüfung demnach grds. ohne zeitliche Begrenzung zulässig sein (BFH 17.12.2015, V R 58/14, BStBl II 2016, 574; BFH v. 16.03.2016, V B 89/15, BFH/NV 2016, 993). Daher muss der Stpfl. auch nach über zehn Jahren der Unterbrechung einer Fahndungsprüfung eine Steuerfestsetzung hinnehmen (BFH v. 21.01.2015, VIII B 112/13, BFH/NV 2015, 800). Eine analoge Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO lehnt der BFH mangels Regelungslücke ab (z. B. BFH v. 15.03.2007, II R 5/04, BStBl II 2007, 472; BFH v. 24.04.2002 I R 25/01, BStBl II 2002, 586; BFH v. 12.10.2012, IX B 87/12, BFH/NV 2013, 179). Die zeitliche Reichweite der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO soll nur durch das Institut der Verwirkung begrenzt werden (BFH v. 24.04.2002, I R 25/01, BStBl II 2002, 586). Selbst eine Einstellung des Steuerstrafverfahrens nach § 385 Abs. 1 AO i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts soll demnach die Ablaufhemmung nicht beenden (BFH v. 24.04.2002, I R 25/01, BStBl II 2002, 586). Erlässt das FA im letztgenannten Fall keine Steuerbescheide – wie sollte dies auch geschehen – gilt eine "ewige" Ablaufhemmung (Kruse in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 73). Dies nimmt die Rspr. mit dem Argument in Kauf, dem Stpfl. erwachse ohne den Erlass von Änderungsbescheiden kein Nachteil, da die Ablaufhemmung "in der Regel ins Leere" gehe (BFH v. 24.04.2002, I R 25/01, BStBl II 2002, 586). Eine zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen soll nur durch den Eintritt der Verwirkung gezogen werden (BFH v. 24.04.2002 I R 25/01, BStBl II 2002, 586; BFH v. 16.03.2016, V B 89/15, BFH/NV 2016, 993). Teile der Literatur folgen dieser Auffassung unkritisch (Cöster in König, § 171 AO Rz 112; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 122 f.; Rüsken in Klein, § 171 AO Rz. 82). Dem kann unter dem Aspekt, dass auch in diesen Fällen nach verlässlichen Parametern Rechtsfrieden eintreten können muss, und nicht nur aufgrund des "praktisch wenig wirksamen" Grundsatzes von Treu und Glauben (Verwirkung; so Rüsken in Klein, § 171 AO Rz. 82), nicht gefolgt werden – das gebietet das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), erst recht in den Fällen der Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO (zutr. daher Kruse in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 72 f.; ebenso Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 153). Außerdem wird Folgendes verkannt: Haftet der Steuerschuldner in den hier betrachteten Fällen, ohne Steuerhinterzieher zu sein, und gehen diese Haftungsschulden auf einen Gesamtrechtsnachfolger über (z. B. nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG), so setzt sich die unbegrenzte Ablaufhemmung gem. § 191 Abs. 3 Satz 4 AO bei diesem fort. Daher ist die Auffassung des BFH abzulehnen. Eine sachgerechte Lösung des Problems liegt in der analogen Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO (zutr. FG Ha v. 11.04.1997, V 26/91, EFG 1998, 263; Kruse in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 73; Söffing, DStZ 2001, 739, m. w. N.; auch Raub, INF 2001, 393, 394; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 153).

 

Tz. 86

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 2 AO gilt, ohne dass es hierbei auf den Zeitpunkt des Beginns der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen beim Stpfl. ankommt, bis zur Unanfechtbarkeit der durch die entsprechend zu qualifizierenden Pflichtwidrigkeiten veranlassten Festsetzungsbescheide an. Unanfechtbarkeit in diesem Sinne tritt zwar auch durch die Aufhebung eines wirksamen Bescheides ein, nicht jedoch durch die Aufhebung eines unwirksamen Bescheids. Ein solcher ist von vornherein nicht der Bestandskraft fähig (BFH v. 15.03.2007, II R 5/04, DStR 2007, 799). Die Ablaufhemmung entfällt nicht wegen Einstellung des Strafverfahrens (BFH v. 24.09.2001, IV B 132/00, BFH/NV 2002, 159; aber s. Rz. 85).

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