Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO ordnet an, dass die Steuern durch das Recht der EU "geregelt" sein müssen. Es kommt – wie bei dem Merkmal "Regelung durch Bundesrecht" – lediglich darauf an, ob eine Regelung tatsächlich vorliegt, nicht dass die EU über eine entsprechende Regelungskompetenz verfügt (vgl. Musil in HHSp, § 1 AO Rz. 33; Seer in Tipke/Kruse, § 1 AO Rz. 24). Zum Recht der EU gehören das primäre (insbes. EU und AEUV; s. Rz. 12) und das sekundäre, aus dem primären Unionsrecht abgeleitete Europarecht (s. Rz. 13; vgl. z. B. Seer in Tipke/Kruse, § 1 AO Rz. 21 ff.).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das primäre Europarecht enthält zwar in Art. 110 ff. AEUV steuerrechtliche Regelungen, jedoch existiert derzeit keine EU-Steuer, da die Harmonisierung der direkten Steuern gem. Art. 114 Abs. 2 AEUV abweichend von Art. 114 Abs. 1 AEUV einer einstimmigen Entscheidung aller Mitgliedstaaten bedarf (Khan in Geiger/Kotzur/Khan, Art. 110 AEUV Rz. 1). Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts ihre Steuerhoheit auch bzgl. der direkten Steuern unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (EuGH v. 04.02.1995, C-279/93, EuGHE 1995, I-225 Schumacker; Khan in Geiger/Kotzur/Khan, Art. 110 AEUV Rz. 2; Oppermann/Classen/Nettesheim, § 12 Rz. 26 ff.). Eine Regelung i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 1 AO ist hierin aber nicht zu sehen. Dies gilt auch, soweit sich z. B. im Hinblick auf den Grundsatz des effet utile (Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 197 Abs. 1 AEUV) Folgerungen für die europarechtskonforme Anwendung des nationalen Verfahrensrechts ergeben.
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das sekundäre Europarecht bilden die in Art. 288 AEUV genannten Rechtsakte, also Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Regelungen i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 1 AO enthalten davon nur die Verordnungen, da nur diese eine allgemeine Geltung haben (Art. 288 Abs. 2 Satz 1 AEUV) und demnach in den Mitgliedstaaten verbindlich sind und unmittelbar gelten (Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV). Richtlinien (z. B. die auf Art. 113 AEUV beruhende Verbrauchsteuer-SystemRL) gehören demgegenüber nicht dazu, da sie sich an die Mitgliedstaaten richten und diesen die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht überlassen (Art. 288 Abs. 3 AEUV; BFH v. 18.10.2012, V B 45/12, juris; Schwarz, § 1 AO Rz. 5d).
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die für das Abgabenrecht bedeutsamste Verordnung ist der UZK, der den ZK abgelöst hat und seit dem 01.05.2016 die wesentliche Grundlage des Zollrechts (Einfuhrabgabenrechts) der Europäischen Union bildet. Neben diese VO treten die auf Unionsebene (und einzelstaatlicher Ebene) erlassenen Durchführungsvorschriften. In der Bundesrepublik sind dies – neben zahlreichen anderen Bestimmungen – das ZollVG vom 21.12.1992, BGBl I 1992, 2125 sowie die ZollV.
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der UZK enthält unter anderem auch
- einige grundlegende Begriffsbestimmungen (Art. 1 bis 5 UZK),
- allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften (Art. 18 ff. UZK),
- Vorschriften über Sicherheitsleistungen für den Zollschuldbetrag (Art. 89 bis 100 UZK),
- über das Entstehen der Zollschuld sowie die Person des Zollschuldners (Art. 77 bis 88 UZK),
- über die Erhebung sowie buchmäßige Erfassung des Zollschuldbetrages und die Mitteilung an den Zollschuldner (Art. 101 bis 107 UZK),
- über die Fristen und Modalitäten für die Errichtung des Abgabebetrages (Art. 108 bis 123 UZK), das Erlöschen der Zollschuld (Art. 124 bis 126 UZK),
- über die Erstattung und den Erlass (Art. 116 ff. ZK),
- einen Mindeststandard für Rechtsbehelfe (Art. 43 ff. UZK), wobei die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens der Regelung durch die Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben (Art. 44 UZK),
- eine eigene Vorschrift die Aussetzung der Vollziehung betreffend (Art. 45 UZK).
Keine Regelung trifft der UZK bzgl. der Vollstreckung (Art. 113 UZK) und des Rechts der Zuwiderhandlungen (Art. 83 Abs. 3 UZK, auch Art. 42 UZK).
Die Vorschriften der AO sind neben dem UZK anzuwenden (BT-Drs. 14/7341, 16 f.), wenn
- darin keine Regelung getroffen wurde (so z. B. hinsichtlich der Haftung, Vollstreckung, Straf- und Bußgeldvorschriften sowie Organisation der Zollverwaltung; insoweit gelten uneingeschränkt die entsprechenden Vorschriften der AO),
- das Unionsrecht im Vergleich zur Regelungsdichte der AO lückenhaft ist,
- unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden,
- das Unionsrecht auf nationales Recht verweist,
- den Mitgliedstaaten oder ihren Zollbehörden eine Regelungsbefugnis hinsichtlich bestimmter Einzelheiten eingeräumt ist oder
- den Zollbehörden ein Ermessen bei der Anwendung des Zollrechts eingeräumt ist.
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Soweit unionsrechtliche Vorschriften von denen der AO abweichen und das nationale Recht verdrängen, hat das Unionsrecht Vorrang (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AO). Dies gilt z. B. für Art. 116 ff. UZK, welche die §§ 163, 227 AO verdrängen. Ohne praktischen Anwendungsbereich ist auch § 169 Abs. 2 Satz ...