Tz. 29
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
An eine zulässige und wirksam zustande gekommene tatsächliche Verständigung sind die Beteiligten grundsätzlich gebunden, auch wenn die Verständigung nicht sämtliche schwer aufklärbaren Umstände des Besteuerungssachverhalts umfasst. Während der BFH (u. a. BFH v. 11.04.2017, IX R 24/15, BStBl II 2017, 1155 m. w. N.; BFH v. 12.06.2017, III B 144/16, BStBl II 2017, 1165 m. w. N.; ebenso Wünsch in Koenig, § 88 AO Rz. 53; Weber-Grellet, BB 1994, 997; Schmidt-Liebig, DStZ 1996, 643; BMF v. 30.07.2008, BStBl I 2008, 831, Nr. 6.1) ihre Verwaltungsaktsqualität ablehnt und die Bindungswirkung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herleitet, sieht die h. M. (u. a. Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 15 m. w. N. und Übersicht über den Meinungsstand; Rätke in Klein, § 78 AO Rz. 5 m. w. N.; Rüsken in Klein, § 162 AO Rz. 30a; von Wedelstädt, DB 1991, 515 und 1712; s. Übersicht von Wedelstädt, AO-StB 2001, 190, 192) in der tatsächlichen Verständigung einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, dessen Bindungswirkung mit seinem Abschluss eintritt. Demgegenüber benötigen der BFH und die ihm folgende Meinung zur Bindungswirkung Dispositionen; Dispositionen der Beteiligten werden darin gesehen, dass sie unter Aufgabe ihrer unterschiedlichen Ausgangspositionen einvernehmlich auf weitere Ermittlungen in Bezug auf den durch die tatsächliche Verständigung festgelegten Sachverhalt verzichten, wenn die tatsächliche Verständigung wirksam und unanfechtbar zustande gekommen ist (BFH v. 31.07.1996, XI R 78/95, BStBl II 1996, 625; BMF v. 30.07.2008, BStBl I 2008, 831, Nr. 6.1). Der Annahme eines öffentlich-rechtlichen Vertrags stehen gesetzliche Bestimmungen nicht entgegen, sie bedarf auch keiner gesetzlichen Ermächtigung (Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 16). Bei Annahme eines Vertrags ergeben sich die in Rz. 23 geschilderten Probleme hinsichtlich der Genehmigung oder der Vertretung nicht.
Tz. 30
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die tatsächliche Verständigung bindet nur hinsichtlich des Sachverhalts, der Gegenstand der Verständigung ist. Betrifft sie z. B. die Höhe der gewerblichen Einkünfte, ist der Stpfl. nicht gehindert, sein Veranlagungswahlrecht anderweitig auszuüben (BFH v. 24.01.2002, III R 49/00, BStBl II 2002, 408). Sie bindet im Übrigen nur die an der Verständigung Beteiligten. Eine tatsächliche Verständigung zwischen einem Stpfl. und dem für ihn zuständigen FA, deren Gegenstand die Übernahme von Steuerschulden Dritter ist, bindet die für die Besteuerung der Dritten zuständigen FA nur, wenn diese am Zustandekommen der tatsächlichen Verständigung beteiligt waren (BFH v. 07.07.2004, X R 24/03, BStBl II 2004, 975).