Tz. 38
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Berücksichtigung für den Stpfl. günstiger Tatsachen oder Beweismittel ist durch § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO jedoch grundsätzlich von der Voraussetzung abhängig, dass den Stpfl. kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Grobes Verschulden bedeutet Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Dabei gilt ein subjektiver Verschuldensmaßstab: Maßgeblich ist, ob der Stpfl. bei der Abgabe der Steuererklärung die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z. B. BFH v. 19.11.2008, II R 10/08, BFH/NV 2009, 548; BFH v. 03.12.2009, VI R 58/07, BStBl II 2010, 531; AEAO zu § 173, Nr. 5.1). Der Begriff der groben Fahrlässigkeit stimmt mit demjenigen der "Leichtfertigkeit" i. S. des § 378 Abs. 1 AO überein (BFH v. 18.11.2013, X B 82/12, BFH/NV 2014, 292). Es kommt auf die persönlichen Umstände, Fähigkeiten und Kenntnisse des Stpfl. und die besonderen Umstände des Einzelfalles an, sodass das Verhalten eines weniger gewandten Stpfl. anders beurteilt wird als das des gewandten und erfahrenen. Von fachkundigen Stpfl. und auch von steuerlich beratenden Personen ist folglich ein höherer Grad an Sorgfalt hinsichtlich der von ihnen zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften zu verlangen (BFH v. 26.10.2016, X R 1/14, BFH/NV 2017, 257; BFH v. 09.02.2017, VI B 58/16, BFH/NV 2017, 763).
Tz. 39
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Anknüpfungspunkte für die Annahme eines groben Verschuldens i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO können Versäumnisse sowohl bei der Erstellung der Steuererklärung als auch bei der Überprüfung des noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheids sein (BFH v. 03.08.2016, X R 20/15, BFH/NV 2017, 438; BFH v. 26.10.2016, X R 1/14, BFH/NV 2017, 257). Allgemein wird grobes Verschulden angenommen, wenn der Stpfl. seiner Erklärungspflicht nicht oder nur unzureichend nachkommt, indem er trotz Aufforderung eine Steuererklärung nicht abgegeben hat (BFH v. 16.09.2004, IV R 62/02, BStBl II 2005, 75; Tiedtke/Szczesny, DStR 2005, 1122; AEAO zu § 173, Nr. 5.1.2), unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH v. 03.12.2009, VI R 58/07, BStBl II 2010, 531), allgemeine Grundsätze der Buchführung (§§ 145 bis 147 AO) verletzt oder ausdrückliche Hinweise in ihm zugegangenen Vordrucken, Erläuterungen, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen der Finanzbehörde nicht beachtet (BFH v. 23.01.2001, XI R 42/00, BStBl II 2001, 379). Die Nichtbeachtung einer im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellten, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogenen Frage ist regelmäßig grob schuldhaft (BFH v. 23.10.2002, III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; BFH v. 11.12.2009, X B 199/09, BFH/NV 2010, 598; AEAO zu § 173, Nr. 5.1.3). Das gilt auch für einen Stpfl., dem einschlägige Steuerrechtskenntnisse fehlen (BFH v. 20.03.2013, VI R 5/11, BFH/NV 2013, 1142). Grobes Verschulden des Stpfl. liegt aber nur dann vor, wenn die Erklärungsvordrucke und Merkblätter für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig abgefasst sind (BFH v. 23.01.2001, XI R 42/00, BStBl II 2001, 379). Diese Grundsätze gelten auch bei der Abgabe einer Steuererklärung im elektronischen Wege über das Elster-Formular (z. B. BFH v. 10.02.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017, 7). Sie bedürfen jedoch der Einschränkung, dass in jedem Fall auch die persönlichen Verhältnisse (Einsichtsfähigkeit, Bildungsstand usw.) des Verpflichteten zu berücksichtigen sind (BFH v. 22.05.1992, VI R 17/91, BStBl II 1993, 80). Wer keinen sachverständigen Rat einholt, handelt in der Regel noch nicht grob schuldhaft (BFH v. 23.01.2001, XI R 42/00, BStBl II 2001, 379; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 93 m. w. N.). Dies gilt zumindest dann, wenn Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der vom Stpfl. rechtsirrig angenommenen steuerrechtlichen Wertung diesem sich weder aufdrängen noch hätten aufdrängen müssen (BFH v. 10.08.1988, IX R 219/84, BStBl II 1989, 131). Grobes Verschulden ist anzunehmen, wenn trotz Aufforderung durch die Finanzbehörde – erst recht bei mehrfacher Aufforderung – offenkundig steuerrelevante Tatsachen nicht mitgeteilt oder nachgewiesen werden; auf die Folgen braucht die Behörde dabei nicht hinzuweisen (BFH v. 28.03.2017, III B 139/16, BFH/NV 2017, 920). Offensichtliche Versehen und Irrtümer, z. B. Schreib- und Rechenfehler, stellen kein grobes Verschulden dar (zu Fällen des groben Verschuldens AEAO zu § 173, Nr. 5.1.1 ff.). Ein unabsichtlicher Rechenfehler, der auch bei Beobachtung normaler Sorgfalt jedem unterlaufen kann, ist nicht als grobes Verschulden zu werten (BFH v. 13.09.1990, V R 110/85, BStBl II 1991, 124). Subjektiv entschuldbare Rechtsirrtümer, die zu einem nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen geführt haben, schließen eine grobe Fahrlässigkeit aus; mangelnde Steuerrechtskenntnisse bei einem Stpfl. ohne einschlägige Ausbildung allein begründen kein grob...