Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift des § 165 AO ermöglicht mit der vorläufigen Steuerfestsetzung die Berücksichtigung gegenwärtig nicht aufklärbarer Sachlagen in Steuerbescheiden, indem sie insoweit einen partiellen Aufschub der materiellen Bestandskraft regelt und damit nach Klärung der Sachlage eine eingeschränkte Änderung von Steuerfestsetzungen eröffnet. Dem Stpfl. wird durch die Vorläufigkeit die für das FA bestehende Ungewissheit bekannt, weshalb für ihn keine Situation entsteht, die zu seinen Gunsten einen Vertrauensschutz erzeugen könnte (BFH v. 26.10.2006, II R 9/01, BFH/NV 2006, 478). Erstreckt sich die Ungewissheit nur auf einzelne steuerrelevante Sachverhalte, sieht § 165 Abs. 1 Satz 1 AO die – partiell – vorläufige Steuerfestsetzung vor, erstreckt sie sich quasi auf den gesamten Sachverhalt, regelt § 165 Abs. 1 Satz 4 AO die Aussetzung der Steuerfestsetzung. Sie hat darüber hinaus eine ganz wesentliche Bedeutung in den Fällen, in denen die angebliche Verfassungswidrigkeit von Steuerrechtsnormen geltend gemacht wird, weil die Steuerfestsetzung auch in diesen Fällen vorläufig durchgeführt und damit Einsprüche vermieden werden können.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 165 AO betrifft Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide (s. § 164 AO Rz. 2). Ist ein Grundlagenbescheid vorläufig ergangen, muss der Folgebescheid nicht ebenfalls vorläufig ergehen, weil sich seine Änderbarkeit aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergibt. Auch Schätzungsbescheide können hinsichtlich einzelner Schätzungsgrundlagen, deren spätere Aufklärung zu erwarten ist, vorläufig ergehen. Tatsächliche Verständigung und Vorläufigkeit s. Vor §§ 204–207 AO Rz. 32. Soweit eine Steuer vorläufig festgesetzt ist, ist insoweit eine Änderung nach anderen Vorschriften wie §§ 172ff. AO nicht zulässig (§ 172 Abs. 1 Satz 1 AO); diese Vorschriften greifen aber, wenn der Änderungsanlass nicht Gegenstand der Ungewissheit ist, die Grund für die Vorläufigkeit war, d. h. die Änderung sich auf eine Besteuerungsgrundlage bezieht, die nicht von der Vorläufigkeit erfasst ist (von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 34).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wegen der speziellen Korrekturvorschriften des UZK ist § 165 AO auf Abgabenbescheide nach dem UZK nicht anwendbar (h. M.; u. a. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 165 AO Rz. 12; Deimel in HHSp, Art. 102 UZK Rz. 13; Seer in Tipke/Kruse, § 165 AO Rz. 5 m. w. N.).
Tz. 3a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 165 AO ist ferner nicht anwendbar auf Steuerverwaltungsakte, die unter §§ 130 und 131 AO fallen, also auch nicht auf Haftungs- und Duldungsbescheide, Festsetzungen von Verspätungszuschlägen oder Säumniszuschlägen. Auch eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 AO, die im Rahmen der Steuerfestsetzung getroffen wird und ein eigenständiger Verwaltungsakt ist, kann nicht vorläufig erfolgen. Sind aber Verwaltungsakte i. S. des § 163 Abs. 1 AO mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung verbunden und ist der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach § 163 Abs. 1 AO relevant, stehen sie nach § 163 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AO kraft Gesetzes unter Widerrufsvorbehalt (AEAO zu § 165, Nr. 12).
Tz. 3b
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§§ 172ff. und § 165 AO sind nebeneinander anwendbar. Eine nach § 165 Abs. 1 AO vorläufige Steuerfestsetzung kann nach Ablauf der Frist des § 171 Abs. 8 AO nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden, wenn das die Ungewissheit beseitigende Ereignis (§ 165 Abs. 2 AO) zugleich steuerrechtlich zurückwirkt (BFH v. 10.05.2007, IX R 30/06, BStBl II 2007, 807; Heuermann in HHSp, § 165 AO Rz. 5a).