Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der gem. § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis rechnende Haftungsanspruch richtet sich gegen andere als diejenigen, die an dem entsprechenden Steuerschuldverhältnis als Steuerschuldner beteiligt sind (s. § 37 AO Rz. 4). Haften in diesem Sinne bedeutet das Einstehen müssen für eine fremde Schuld. Daraus folgt, dass ein Steuerschuldner für dieselbe Abgabe nicht Haftender i. S. der steuergesetzlichen Haftungsvorschriften sein kann und umgekehrt (a. A. FG Ha v. 18.11.2016, 4 V 142/16, EFG 2017, 182 zur Haftung nach § 71 AO für TabakSt). Dieser Grundsatz erleidet dann eine scheinbare Durchbrechung, wenn Steuerschuldner und Zahlungsverpflichteter (Entrichtungsschuldner) nicht identisch sind, wie beispielsweise bei der Lohnsteuer, wenn der Geschäftsführer einer GmbH als Haftungsschuldner für die auf sein Gehalt entfallende Lohnsteuer herangezogen wird (BFH v. 15.04.1987, VII R 160/83, BStBl II 1988, 167). Tatsächlich ist in diesem Fall aber die GmbH Entrichtungspflichtiger oder Haftungsschuldner nach § 42d EStG und für diesen Anspruch und nicht wegen der eigenen ESt-Schuld, wird der Geschäftsführer nach § 69 AO in die Haftung genommen. Dem Gläubiger eröffnet der Haftungsanspruch die Möglichkeit, neben bzw. anstelle des Schuldners einen Dritten auf die geschuldete Leistung in Anspruch zu nehmen und dabei letztlich in das Vermögen des Haftenden zu vollstrecken. Im Einzelfall kann die Zugriffsmöglichkeit auf bestimmte Vermögensgegenstände beschränkt sein (s. z. B. § 74 AO). Die Haftung dient der Sicherung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Von der Haftung ist die Duldungspflicht abzugrenzen. Der Duldungsverpflichtete hat die Vollstreckung in das seiner Verfügungsmacht unterliegende Vermögen hinzunehmen, ohne selbst Schuldner einer Verbindlichkeit zu sein. Die in § 77 AO angesprochenen Duldungspflichten stellen keine abschließende Aufzählung der infrage kommenden Duldungstatbestände dar (s. §§ 263ff. AO und auch § 191 Abs. 1 Satz 2 AO wegen der Duldungspflichten nach dem AnfechtungsG).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Steuerrecht ist die Haftung grundsätzlich akzessorisch, d. h. der Haftungsanspruch hat die Existenz des Primäranspruchs, für den gehaftet wird, zur Voraussetzung. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sich der Haftungsanspruch unter bestimmten Voraussetzungen als selbstständiger, von der Fortexistenz des ihm zugrunde liegenden Primäranspruchs unabhängiger Anspruch darstellt (s. § 191 Abs. 5 Satz 2 AO). Als Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (s. § 37 Abs. 1 AO) ist der Haftungsanspruch dem öffentlichen Recht zuzurechnen, und zwar auch dann, wenn er sich auf Haftungstatbestände des Privatrechts gründet. Die früher in § 120 Abs. 1 AO a. F. ausdrücklich geregelte Umwandlung der auf Privatrecht beruhenden Haftung in eine öffentlich-rechtliche wird in der AO 1977 nicht mehr konkret vorgenommen. Sie ergibt sich lediglich stillschweigend aus § 191 Abs. 1 AO (Loose in Tipke/Kruse, vor § 69 AO Rz. 2). Letztendlich mag das jedoch dahinstehen: Auch wenn sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen ergibt, wird sie durch Haftungsbescheid geltend gemacht, wenn es sich um eine Haftung kraft Gesetzes handelt (s. § 191 Abs. 1 und 4 AO; Heintzen, DStZ 2010, 199). Ob der Anspruch nun öffentlich-rechtlicher oder zivilrechtlicher Natur ist, ist ohne praktische Bedeutung. Im Gegensatz hierzu kann derjenige, der sich aufgrund eines Vertrages verpflichtet hat, für die Steuer eines anderen einzustehen (s. § 48 Abs. 2 AO), nur nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts und nur auf dem Zivilrechtsweg in Anspruch genommen werden (s. § 192 AO).