Zu den Auswirkungen einer Fiskalerbschaft auf einen Duldungsbescheid
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AO durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 AnfG geltend zu machen ist.
Sachverhalt: Durchbrechung der Akzessorietät der Duldungsverpflichtung im Fall einer Fiskalerbschaft?
Die Klägerin erwarb im Jahr 2007 von der Abgabenschuldnerin S ein Grundstück. Die Klägerin ist die Schwägerin der S, nämlich die geschiedene Ehefrau des Bruders der S... (B). Als Gegenleistung wurde eine Briefgrundschuld samt dem hierdurch gesicherten Kredit sowie die Verpflichtung zur Zahlung eines weiteren Kaufpreises übernommen. Zudem räumte die Klägerin der S und deren Ehemann ein lebenslanges dingliches Wohnungsrecht ein und verpflichtete sich, dem Sohn der S ein unwiderrufliches Verkaufsangebot zu unterbreiten.
Das Finanzamt (FA) hat die Klägerin gem. § 191 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 1 AnfG auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück in Anspruch genommen. Es erklärte in dem Duldungsbescheid die Anfechtung des Erwerbsvorgangs und bezifferte die Abgabenrückstände, die sich im Wesentlichen aus Umsatzsteuern und steuerlichen Nebenleistungen zusammensetzten und wegen derer das FA gegen S die Zwangsvollstreckung betrieb.
Die Klägerin legte gegen den Duldungsbescheid Einspruch ein, den das FA, nachdem S im Jahr 2015 verstorben war und der Ehemann und Sohn als gesetzliche Erben das Erbe ausgeschlagen hatten, mit Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückwies.
FG weist Klage ab
Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es führte u.a. aus, dass der Inanspruchnahme der Klägerin als Duldungsverpflichtete nicht entgegenstehe, dass infolge des Versterbens der S eine Fiskalerbschaft eingetreten sei, durch die sich die Steuerrückstände der S durch Konfusion erledigt hätten. Es schloss sich der Begründung aus dem BFH-Urteil v. 7.3.2006, VII R 12/05, BStBl II 2006, 584 an, das den Fall der Duldung des Vollstreckungszugriffs im Umfang des Wertes unentgeltlicher Zuwendungen des anderen Ehegatten nach § 278 Abs. 2 Satz 1 AO betraf. Seitens des FG wurde allerdings nicht festgestellt, ob auch der Bruder B das Erbe ausgeschlagen hatte.
Im Revisionsverfahren trug die Klägerin vor, dass für einen Duldungsbescheid gem. § 191 AO i.V.m. §§ 1 ff. AnfG der Grundsatz der Akzessorietät gelte, der im Falle einer vorliegenden Fiskalerbschaft nicht durchbrochen werde.
Entscheidung: Fiskalerbschaft führt nicht zum Erlöschen des Anfechtungsrechts
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen und die Auffassung des FG bestätigt.
Die von S vorgenommene Grundstücksveräußerung benachteiligte das FA als Gläubiger. S handelte mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, den die Klägerin auch kannte.
Bei Erlass des Duldungsbescheids – vor dem Versterben der S – hatte das FA als Gläubiger einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt, und die Abgabenforderungen waren fällig. Der Duldungsbescheid war nach dem Versterben der S auch nicht aufzuheben.
Zweifel an der vom FG angenommenen Fiskalerbschaft
Es kann daher dahinstehen, ob es nach dem Tod der S zu einer Fiskalerbschaft gekommen ist. Die Fiskalerbschaft setzt gem. § 1936 BGB voraus, dass kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden ist. Der Fall kann auch dann eintreten, wenn alle vorhandenen gesetzlichen Erben das Erbe ausschlagen (§ 1953 Abs. 1, 2 BGB).
Das FG hat im Streitfall nicht festgestellt, dass außer dem Ehemann und dem Sohn der S auch der Bruder B, der als gesetzlicher Erbe zweiter Ordnung (§ 1925 Abs. 1 BGB) in Betracht kam, das Erbe ausgeschlagen hatte.
Dementsprechend bestehen Zweifel, dass es im Streitfall infolge einer Fiskalerbschaft tatsächlich zu einer Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person – der sogenannten Konfusion – gekommen und die Abgabenschuld der S gemäß § 47 AO erloschen ist.
Fiskalerbschaft führt nicht zum Untergang des materiellen Duldungsanspruchs
Selbst wenn es aber zu einer Fiskalerbschaft gekommen und die zugrunde liegende Abgabenschuld der Hauptschuldnerin S gemäß § 47 AO erloschen wäre, ist jedenfalls der materielle Duldungsanspruch nicht untergegangen.
Nach dem Grundsatz der Akzessorietät ist gem. § 2 Halbsatz 1 AnfG jeder Gläubiger zur Anfechtung berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist.
An einem vollstreckbaren Schuldtitel i.S.d. § 2 AnfG fehlt es grundsätzlich, wenn der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis erloschen ist. Denn der sich aus der Anfechtung ergebende Duldungsanspruch wird in seinem Umfang durch die im Bescheid angegebenen Forderungen begrenzt. Da der Duldungsbescheid zudem nicht selbst als Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dienen kann, sondern einer Erstschuld bedarf, wird im Schrifttum formuliert, die Duldungspflicht gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AO sei "streng" akzessorisch zur Erstschuld (u.a. Jatzke in Gosch, AO § 191 Rz 11).
Der Akzessorietätsgrundsatz des § 2 AnfG bewirkt im Falle einer Fiskalerbschaft aber nicht, dass das Anfechtungsrecht erlischt und der Duldungsanspruch untergeht.
Dem Anfechtungsrecht liegt der Zweck zugrunde, dem Gläubiger den Zugriff auf die Vermögenswerte zu bewahren, die dem Vermögen des Schuldners durch Übertragung auf eine andere Person entzogen worden sind.
Diese Interessenlage besteht auch im Falle des Versterbens des Schuldners mit der Folge einer Fiskalerbschaft fort. Daher ist es aufgrund des Sicherungszwecks geboten, auch in diesem Fall das Fortbestehen der Steuerschuld zu fingieren.
§ 278 Abs. 2 AO soll missbräuchlichen Vermögensverschiebungen des Schuldners entgegenwirken
§ 278 Abs. 2 Satz 1 AO regelt einen Sonderfall der Anfechtung einer Vermögensverschiebung zwischen Ehegatten. Der Regelung liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, zum Schutz des Gläubigers missbräuchlichen Vermögensverschiebungen des Schuldners entgegenzuwirken, die geeignet sind, die Vollstreckung wegen der Steuerforderung zu vereiteln. Der eigentliche Steuerschuldner soll nicht durch eine bewusste Vermögensverschiebung in die Lage versetzt werden, Vermögen (über seinen Tod hinaus) seiner Familie oder einem Dritten zu sichern. Damit soll dem Gläubiger der Zugriff auf die zugewendeten Vermögensgegenstände bzw. auf deren Wert erhalten bleiben.
Normen vergleichbar
Diesem Anliegen des Gesetzgebers entsprechen auch die Regelungen der §§ 1 ff. AnfG, auch wenn das Anfechtungsrecht nicht auf den Fiskus beschränkt ist. Würde hier im Falle einer Fiskalerbschaft der Duldungsanspruch untergehen, so würde der ursprünglich Anfechtungsberechtigte seine Vollstreckungsmöglichkeit verlieren. Dies würde missbräuchliche Vermögensverschiebungen des Schuldners beziehungsweise seiner nahen Angehörigen begünstigen und ginge zu Lasten der Allgemeinheit sowie der Steuergerechtigkeit.
Die Vergleichbarkeit des § 278 Abs. 2 AO und des § 191 AO i.V.m. §§ 1 ff. AnfG ergibt sich aus deren Rechtsnatur. Stützt das FA die Anfechtung der Vermögensübertragung nach § 278 Abs. 2 AO auf einen Bescheid, so ist dieser ein besonderer Duldungsbescheid, der als lex specialis den allgemeinen Anfechtungsmöglichkeiten nach dem Anfechtungsgesetz vorgeht. Ebenso wird eine Anfechtung nach § 191 AO i.V.m. §§ 1 ff. AnfG durch einen Duldungsbescheid bewirkt (§ 191 Abs. 1 Satz 2 AO).
Für die Vergleichbarkeit spricht weiter, dass ein auf § 3 AnfG gestützter Duldungsbescheid gegebenenfalls einen solchen nach § 278 Abs. 2 AO enthalten kann. Das wird durch den ineinander übergreifenden Anwendungsbereich der Normen deutlich.
Aus dem genannten Senatsurteil (Az. VII R 12/05), wonach die Konfusion der Inanspruchnahme des anderen zusammenveranlagten Ehegatten, der den Vollstreckungszugriff im Umfang des Wertes unentgeltlicher Zuwendungen des anderen Ehegatten nach § 278 Abs. 2 Satz 1 AO dulden muss, nicht entgegensteht, hat das FG zu Recht den Schluss gezogen, in Fällen der Fiskalerbschaft sei die Akzessorietät auch im Falle eines auf einer Anfechtung beruhenden Duldungsbescheids eingeschränkt.
Sowohl in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (z.B. FG Münster, Beschluss v. 24.1.2023, 7 V 2136/22, EFG 2023, 449) als auch im Schrifttum (u.a. Boeker in HHSp, § 191 AO Rz 251) ist dies auf Zustimmung gestoßen und damit begründet worden, die Steuerforderung erledige sich durch die Konfusion nur insoweit, als in das Vermögen des Steuerschuldners bzw. seines Rechtsnachfolgers nicht vollstreckt werden könne, weil er selbst Gläubiger geworden sei. Die Steuerforderung bestehe jedoch fort, soweit sie Grundlage für die Vollstreckung in schuldnerfremdes Vermögen sei. Habe der Steuerschuldner durch seine – nach dem Anfechtungsgesetz anfechtbaren – Rechtshandlungen den Zugriff auf sein Vermögen vereitelt, indem er Vermögen veräußert, weggegeben oder aufgegeben habe, würden nach seinem Tod trotz der Konfusion aufgrund der Fiskalerbschaft seine Steuerschulden für Zwecke der Vollstreckung in das weggegebene Vermögen fortgelten; eine uneingeschränkte Akzessorietät würde dem Zweck des Anfechtungsgesetzes widersprechen.
Hiergegen spricht nicht, dass in anderen Rechtsgebieten – etwa dem Bürgschaftsrecht (§ 768 Abs. 1 Satz 2 BGB) – Regelungen bestehen, wonach im Falle des Versterbens des Hauptschuldners der Dritte hieraus keine Einwendungen ableiten kann. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Durchbrechung der Akzessorietät. Im Anfechtungsgesetz existiert eine vergleichbare Regelung indes nicht.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass mangels einer vergleichbaren Regelung im Anfechtungsgesetz eine Einschränkung bzw. Durchbrechung der Akzessorietät ausgeschlossen wäre. Vielmehr ist auf die jeweilige Interessenlage abzustellen. Die Forderung (hier die Steuerschuld) hat als fortbestehend fingiert zu werden, wenn dies nach der Interessenlage etwa mit Rücksicht auf Rechte Dritter an der Forderung geboten erscheint.
Dementsprechend ist in der Rechtsprechung schon mehrfach betont worden, dass das Fehlen einer gesetzlichen Regelung im Anfechtungsgesetz zur Durchbrechung der Akzessorietät nicht notwendig den Rückschluss zulässt, dass die Forderung erloschen sein müsse. Der Senat hat in seinem Urteil vom 7.3.2006, VII R 12/05 bereits darauf hingewiesen, dass in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung das Erlöschen einer (Haupt-)Forderung durch Konfusion für den Gläubiger nicht zum Verlust eines Rechts führen dürfe, das gerade zur Sicherung bei Ausfall der Hauptforderung diene (z.B. Urteil des OLG Düsseldorf v. 9.2.1999, 4 U 38/98, VersR 1999, 1009). Diese Interessenlage besteht auch im Streitfall, da das Anfechtungsrecht des FA gerade seiner Sicherung bei Ausfall der Steuerforderung diente.
BFH, Beschluss v. 24.4.2024, VII R 57/20; veröffentlicht am 16.5.2024
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