Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auf Steuerordnungswidrigkeiten finden gem. § 377 Abs. 2 AO und § 410 Abs. 1 AO die Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) Anwendung, soweit die Bußgeldvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen. Das sind die §§ 1 bis 34 OWiG (Erster Teil) betreffend das materielle Recht und die §§ 35 bis 110 OWiG (Zweiter Teil) betreffend das Verfahrensrecht.
I. Tatbestandsmäßigkeit; Opportunitätsprinzip
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auch für Ordnungswidrigkeiten gilt der rechtsstaatliche Grundsatz "Keine Ahndung ohne Gesetz" (s. Art. 103 Abs. 2 GG). Keine Handlung kann mit einer Geldbuße geahndet werden, die nicht vor ihrer Begehung gesetzlich geregelt war (s. § 3 OWiG). Die Vorschriften über die zeitliche Geltung der Bußgeldvorschriften finden sich in § 4 OWiG.
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Unterschied zu den Steuerstraftaten, für die der (eingeschränkte) Grundsatz des Verfolgungszwanges gilt (Legalitätsprinzip, s. § 152 Abs. 2 StPO), liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtmäßigen Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörde (Opportunitätsprinzip, s. § 47 Abs. 1 OWiG). Die Handhabung dieses Grundsatzes ermöglicht es, von der Verfolgung von Bagatellfällen abzusehen.
II. Schuldfähigkeit; Verschulden
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Handlungen von Kindern (bis zum vollendeten 14. Lebensjahr) können mangels Schuldfähigkeit nicht geahndet werden (s. § 12 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Geldbußen gegen Jugendliche (zwischen dem vollendeten 14. und dem vollendeten 18. Lebensjahr) sind zulässig, wenn der Jugendliche zur Zeit der Tat den Reifegrad des § 3 Satz 1 JGG besaß, d. h. nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung fähig war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (s. § 12 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Für Heranwachsende (zwischen dem vollendeten 18. und dem vollendeten 21. Lebensjahr) gelten im Ordnungswidrigkeitenrecht keine Besonderheiten. Die Unzurechnungsfähigkeit ist in § 12 Abs. 2 OWiG geregelt. Besondere Vorschriften über verminderte Zurechnungsfähigkeit (s. § 21 StGB) bestehen nicht, weil das OWiG keine von dem absoluten Mindestbetrag von 5 Euro abweichenden Mindestbußen kennt. Dies gestattet die Berücksichtigung verminderter Zurechnungsfähigkeit bei der Bemessung der Geldbuße.
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Was den Grad des Verschuldens anlangt, so kann als Ordnungswidrigkeit grundsätzlich nur vorsätzliches Handeln (s. § 370 AO Rz. 50 ff.) geahndet werden (Beispiel: s. § 383 AO; § 26b UStG), wenn das Gesetz nicht fahrlässiges Handeln ausdrücklich einbezieht (s. § 10 OWiG).
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Verkürzungsdelikt des § 378 AO betrifft ausschließlich leichtfertiges Verhalten (s. § 378 AO Rz. 13). Die Gefährdungsdelikte der §§ 379 bis 381 AO betreffen ebenso wie § 24 BierStG, § 29 SchaumwZwStG und § 43, § 18 KaffeeStG und § 28 KaffeeStV, § 125 BranntwMonG und § 51 BrStV, § 64 EnergieStG und § 111 EnergieStV, § 36 TabStG und § 60 TabStV vorsätzliches und leichtfertiges Verhalten, während die Gefährdungsdelikte des § 382 AO, § 31 ZollVG, § 30 ZollV und § 126 BranntwMonG neben dem Vorsatz auch jede Art von Fahrlässigkeit umfassen (zu den Begriffen Vorsatz s. § 370 AO Rz. 50 ff; zur Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit s. § 378 AO Rz. 8 ff.).
III. Irrtum; Unrechtsbewusstsein
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ein Tatbestandsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 1 OWiG (s. § 16 StGB und dazu § 370 AO Rz. 57 ff.) schließt den Vorsatz auch bei Ordnungswidrigkeiten aus. Er kann jedoch zu einer Geldbuße wegen fahrlässiger (bzw. leichtfertiger) Begehung führen, sofern die betreffende Vorschrift nicht nur vorsätzliche Begehung mit Geldbuße bedroht.
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Handelte der Täter ohne das Bewusstsein, Unrecht zu tun (s. § 11 Abs. 2 OWiG, Verbotsirrtum, s. § 17 StGB und dazu § 370 AO Rz. 61 ff.), so ist von Bedeutung, ob ihm dieser Irrtum nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbes. dem Grad seiner Einsichtsfähigkeit, "vorzuwerfen" war. War der Irrtum dem Täter vorzuwerfen, so bleibt die Ahndung als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit unberührt. Allerdings kann die Geldbuße gemildert werden. Lag ein unverschuldeter Verbotsirrtum vor, sodass dem Täter der Irrtum nicht vorzuwerfen ist, kommt eine Ahndung nicht in Betracht.
IV. Versuch
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Versuch einer Ordnungswidrigkeit, der ohnehin nur im Falle vorsätzlicher Begehung denkbar ist, kann gem. § 13 Abs. 2 OWiG nur dann geahndet werden, wenn es das Gesetz ausdrücklich bestimmt. Für die Ordnungswidrigkeiten der §§ 378 bis 383 AO, ebenso für § 26b UStG, § 24 BierStG, § 30 TabStG, § 64 EnergieStG, §§ 125, 126 BranntwMonG trifft das nicht zu. Der Versuch einer Zuwiderhandlung dieser Art, also das "unmittelbare Ansetzen" des Täters zur Verwirklichung des Tatbestandes (s. § 13 Abs. 1 OWiG), begründet in der Regel noch keine nennenswerte Gefährdung des geschützten Rechtsguts, daher besteht kein Bedürfnis, ein solches Verhalten zu ahnden. Den Rücktritt vom Versuch regelt § 13 Abs. 3 OWiG (s. § 371 AO Rz. 38).
V. Teilnahme; Handeln für einen anderen
Tz....