Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Folgebescheid ist von Amts wegen zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit der Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der Finanzbehörde obliegt kein Ermessen (BFH v. 29.06.2005, X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749; BFH v. 16.07.2003, X R 37/99, BStBl II 2003, 867; AEAO zu § 175, Nr. 1.2 Satz 1).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Funktion der Änderungsvorschrift, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, rechtfertigt keine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung. Sie reicht, wie sich aus der Formulierung "soweit" in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zeigt, nur soweit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides verlangt (BFH v. 29.06.2005, X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749; zuletzt BFH v. 06.11.2009, VIII B 38/09, BFH/NV 2010, 177). Der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Grundlagenbescheides darf deshalb nicht zum Anlass genommen werden, für den Folgebescheid bedeutsame Besteuerungsgrundlagen zu ändern, wegzulassen oder erstmals aufzunehmen, die weder Gegenstand des Grundlagenbescheides sind, noch durch seinen Regelungsinhalt beeinflusst werden (BFH v. 15.02.2001, IV R 9/00, BFH/NV 2001, 1007). Legt also bspw. das FA die Mitteilung über die Gewinnanteile aus einer Personengesellschaft in der Weise aus, dass es bei Erlass eines Änderungsbescheides die Gewinnanteile erfasst, die bereits im Erstbescheid erfassten Gewinne aus dem Einzelunternehmen des Stpfl. jedoch versehentlich streicht, kann dieser Fehler nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO korrigiert werden. Der BFH sieht hier auch keine Möglichkeit, eine Änderung auf § 174 Abs. 3 AO zu stützen, sondern allenfalls auf § 129 AO (BFH v. 15.02.2001, IV R 9/00, BFH/NV 2001, 1007). Bei Auswertung des Grundlagenbescheids kann das Folgebescheids-FA allerdings eine neue selbstständige Würdigung eines für das Folgeverfahren relevanten Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vornehmen, die sich auch auf andere Besteuerungsgrundlagen oder Einkunftsarten beziehen kann (BFH v. 11.04.1990, I R 82/86, BFH/NV 1991, 143 m. w. N.; von Wedelstädt in Gosch, § 175 AO Rz. 27 m. w. N.).
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht nur auf die bloße Übernahme von Zahlen aus dem Grundlagenbescheid, sondern fordert, dass der Folgebescheid vollständig und zutreffend an den Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids angepasst wird (u. a. BFH v. 17.10.2006, VII R 13/06, BStBl II 2007, 134 m. w. N.; AEAO zu § 175, Nr. 1.2). Dies gilt jedoch nicht in den Fällen sog. "Zebragesellschaften". Erzielt ein Gesellschafter einer GbR gewerbliche Einkünfte, die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit aber Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, hat das für den Erlass des Folgebescheids das Gesellschafters zuständige Wohnsitz-FA die Einkünfte umzuqualifizieren und der Höhe nach zu ermitteln (BFH v. 11.04.2005, GrS 2/02, BStBl II 2005, 679; Loose in Tipke/Kruse, § 175 AO Rz. 11; ausführlich s. § 180 AO Rz. 17 ff. und § 182 AO Rz. 2a).
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach dem Wortlaut und Zweck der Vorschrift sind auch Fehler, die bei der Auswertung eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid unterlaufen sind, nachträglich nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO richtig zustellen (BFH v. 29.06.2005, X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749; BFH v. 15.02.2001, IV R 9/00, BFH/NV 2001, 1007; auch AEAO zu § 175, Nr. 1.2 Satz 3). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet die Finanzbehörde, den Folgebescheid so lange – u. U. durch mehrere auf diese Norm gestützte Änderungsbescheide – anzupassen, bis sich die Besteuerungsgrundlagen des Folgebescheids mit den Feststellungen des entsprechenden Grundlagenbescheids decken (u. a. BFH v. 09.08.2006, II R 24/05, BStBl II 2007, 87 m. w. N.). Wird ein Grundlagenbescheid im Folgebescheid bei der erstmaligen Steuerfestsetzung nicht beachtet oder unvollständig ausgewertet, wird der Grundlagenbescheid nicht "verbraucht". Er ist nach wie vor geeignet, eine spätere nochmalige Änderung des Folgebescheids zu rechtfertigen (z. B. BFH v. 27.01.2016, X R 53/14, BFH/NV 2016, 889; BFH v. 09.08.2016, VIII R 27/14, BStBl II 2017, 821; Bartone in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 1327 m. w. N.). In der Praxis bedeutet dies, dass ein Folgebescheid aufgrund eines Grundlagenbescheids so oft nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden muss, bis der Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids vollständig und richtig übernommen worden ist (von Wedelstädt in Gosch, § 175 AO Rz. 18). Dies gilt auch, wenn die unrichtige Übernahme darin besteht, dass die Änderung des Folgebescheids zu weit geht.
Beispiel
Die Kfz-Zulassungsstelle ändert rückwirkend die Emissionsklasse für ein Fahrzeug (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 KraftStG), und zwar auch für bereits festsetzungsverjährte Zeiträume. Das HZA ändert die KraftSt-Festsetzung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend, ohne zu beachten, dass für einen Teil der Erhebungszeiträume Festsetzungsverjährung e...