Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die nach § 163 AO möglichen Billigkeitsmaßnahmen setzen voraus, dass "die Erhebung der Steuer nach Lage des Falles unbillig wäre" (§ 163 Satz 1 AO). Die Billigkeitsprüfung verlangt eine Gesamtbetrachtung aller für die Entstehung des Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblichen Normen, um festzustellen, ob das Ergebnis des allgemeinen Gesetzesvollzugs mit der Einzelfallgerechtigkeit vereinbar ist (BFH v. 26.10.1994, X R 104/92, BStBl II 1995, 297; Loose in Tipke/Kruse, § 163 AO Rz. 9). Der Begriff "unbillig" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und Tatbestandsmerkmal (u. a. von Groll in HHSp, § 227 AO Rz. 110, 115; zum Meinungsstand BFH v. 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, 393, Rz. 100), der im Rahmen des § 163 AO als Rechtsfolgevoraussetzung Rechtsentscheidung ist und vom FG ohne die Einschränkung der § 102 FGO überprüft werden kann. Demgegenüber geht der BFH, dem GmS-OGB v. 19.10.1971 (GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603) folgend, davon aus, dass die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung ist, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (dazu BFH v. 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, 393, Rz. 102 m. w. N.). "Vom Ergebnis her macht beides keinen bedeutsamen Unterschied" (GmS-OGB v. 19.10.1971, GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603).
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Erhebung der Steuer kann – abgestellt auf den konkreten Einzelfall – aus sachlichen Gründen und aus persönlichen Gründen unbillig sein (AEAO zu § 163, Nr. 1 Satz 3). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen für die abweichende Festsetzung von Steuern entsprechen in vollem Umfang denen des Billigkeitserlasses nach § 227 AO. Da im Übrigen keine Besonderheiten hinsichtlich der Auslegung der Begriffe Unbilligkeit, sachliche und persönliche Härte gegenüber § 227 AO gelten, wird auf die entsprechenden Erläuterungen zu § 227 AO Bezug genommen.
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Da § 163 AO auf die Unbilligkeit der Erhebung der Steuer abstellt, ist eine Billigkeitsmaßnahme aus persönlichen Gründen nach § 163 AO im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und der Festsetzung von Steuermessbeträgen die Ausnahme, da das Feststellungs-FA i. d. R. die persönliche Unbilligkeit – auch wegen oft unterschiedlicher Zuständigkeiten – nicht feststellen kann (von Groll in HHSp, § 163 AO Rz. 47 f.).
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als geschehen geregelt hätte, nämlich i. S. der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (BFH v. 23.07.2013, VIII R 17/10, BStBl II 2013, 820; v. 21.01.2015, X R 40/12, BStBl II 2016, 114). Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, können keine sachlichen Unbilligkeitsgründe rechtfertigen (st. Rspr., u. a. BFH v. 16.11.2005, X R 04, BStBl II 2006, 155; BFH v. 07.11.2006, VI R 2/05, BStBl II 2007, 315 m. w. N.; Bartone, AO-StB 2004, 357; ausführlich zur sachlichen Unbilligkeit s. § 227 AO Rz. 5 ff.). Daher kann aus der Tatsache, dass der Besteuerung bei bestimmten Steuerarten generell das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zugrunde liegt, eine eine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen rechtfertigende Härte grundsätzlich nicht gefolgert werden (BFH v. 25.03.1988, III R 186/84, BFH/NV 1989, 426; BFH v. 31.03.2004, X R 25/03, BFH/NV 2004, 1212; von Wedelstädt, AO-StB 2013, 219, 223 m. w. N.; dazu § 4 AO Rz. 58). Auch eine Billigkeitsmaßnahme, um die Bestandskraft eines Steuerbescheids zu umgehen, scheidet daher aus (BFH v. 21.01.2015, X R 40/12, BStBl II 2016, 114). Sachlich unbillig können die Auswirkungen der Änderung der Gesetzeslage, von Verwaltungsanweisungen oder der Rechtsprechung sein, wobei sie auch eine Vielzahl von Fällen betreffen kann. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes kann in diesen Fällen Übergangsregelungen der Finanzverwaltung erfordern, die durch § 163 AO gedeckt sein müssen (s. auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 163 AO Rz. 41 ff.; Rüsken in Klein, § 163 AO Rz. 60 ff.). Die materiell-rechtliche Unrichtigkeit einer Steuerfestsetzung oder -feststellung kann eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen nur begründen, wenn sie offensichtlich und eindeutig falsch ist und es dem Stpfl. nicht zuzumuten war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wenden (BFH v. 08.10.2014, X B 24/14, BFH/NV 2015, 152 m. w. N.). Zur Unbilligkeit aus persönlichen Gründen s....