Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn ein Beteiligter eine gesetzliche Frist versäumt hat, dies ohne sein Verschulden geschehen ist, er einen entsprechenden Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses durch die entsprechenden Tatsachen glaubhaft macht und die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachholt (§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 FGO; z. B. BFH v. 10.10.2003, VII B 236/03, BFH/NV 2004, 220). Dies gilt für alle Verfahrensbeteiligten; daher kann auch der Finanzbehörde Wiedereinsetzung bewilligt werden (BFH v. 28.03.1969, III R 2/67, BStBl II 1969, 548; s. Rz. 8). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch dann noch möglich, wenn ein Rechtsmittel oder ein Antrag bereits als unzulässig verworfen worden ist (BFH v. 17.09.2012, II B 87/12, BFH/NV 2012, 2003).
I. Versäumen einer gesetzlichen Frist
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Gesetzliche Fristen bestehen in der FGO für die Erhebung der Klage (§ 47 Abs. 1 FGO), den Antrag auf mündliche Verhandlung nach Ergehen eines Gerichtsbescheids (§ 79a Abs. 2 Satz 2 FGO und § 79a Abs. 4 FGO, § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO), den Antrag auf Urteilsberichtigung (§ 108 Abs. 1 FGO) und -ergänzung (§ 109 Abs. 2 Satz 1 FGO), die Einlegung und Begründung der NZB (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO), die Einlegung und Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 FGO), die Einlegung der Beschwerde (§ 129 FGO), die Erinnerung (§ 149 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Wiedereinsetzungsfrist (§ 56 Abs. 2 FGO) selbst ist ebenfalls wiedereinsetzungsfähig (Söhn in HHSp, § 56 FGO Rz. 28 m. w. N.; vgl. z. B. BFH v. 31.05.2016, V B 26/16, BFH/NV 2016, 1479).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ausnahmsweise sieht das Gesetz die sinngemäße Anwendung der Vorschrift auf richterliche Ausschlussfristen vor, nämlich für den Antrag auf Beiladung (§ 60a Satz 7 FGO), für die Frist mit ausschließender Wirkung zur Vorlage der Prozessvollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 4 FGO) und für die Klageergänzungsfrist mit ausschließender Wirkung (§ 65 Abs. 2 Satz 3 FGO).
II. Verhinderung ohne Verschulden
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur dann zu gewähren, wenn der Beteiligte an der Einhaltung der Frist (s. Rz. 2 f.) ohne Verschulden verhindert war. Ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (vgl. z. B. BFH v. 09.08.2000, I R 33/99, BFH/NV 2001, 410; BFH v. 13.09.2017, V B 64/17, BFH/NV 2018, 45). Es gilt also ein subjektiver Verschuldensmaßstab. Jedes Verschulden – also auch einfache Fahrlässigkeit – schließt daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z. B. BFH v. 30.11.2010, IV B 39/10, BFH/NV 2011, 613; BFH v. 26.02.2014, IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881; BFH v. 28.07.2017, X S 2/17 [PKH], BFH/NV 2017, 1629). Dabei kommt es in erster Linie auf das Verschulden des Beteiligten selbst an, in zweiter Linie muss er sich das Verschulden des Bevollmächtigten zurechnen lassen (z. B. BFH v. 27.01.1967, VI R 155/66, BStBl III 1967, 290; BFH v. 28.07.2017, X S 2/17 [PKH], BFH/NV 2017, 1629), dies folgt aus § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO. Allerdings endet die Zurechnung aus § 85 Abs. 2 ZPO bereits mit Kündigung des Vollmachtsverhältnisses im Innenverhältnis (BGH v. 10.07.1985, IVb ZB 102/84, HFR 1987, 270). Ein angestellter verantwortlich tätiger qualifizierter Berufsträger, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, ist einem Bevollmächtigen i. S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt (BFH v. 13.09. 2012, XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60; BFH v. 26.02.2014, IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881). Das Vorstehende gilt auch für das Verschulden eines Zustellungsbevollmächtigten (BFH v. 08.09.1971, BStBl II 1971, 810).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wegen der einzelnen Fälle des Verschuldens wird auf die ausführlichen Erläuterungen zu § 110 AO verwiesen (s. § 110 AO Rz. 8 ff.). Aus der speziell zu § 56 FGO ergangenen Rspr. seien folgende Fälle zitiert:
Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (BFH v. 28.03.2014, IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896). Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, so muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt (BFH v. 23.08.2016, IX R 15/16, BFH/NV 2017, 47; s. Rz. 7). Bei Angehörigen der rechtsberatenden und steuerberatenden Berufe ist eine Erkrankung nur dann ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie entweder plötzlich und unvorhersehbar aufgetreten oder so schwer ist, dass weder die Fristwahrung noch die Bestellung eines Vertreters möglich gewesen ist (z. B. BFH v. 10.05.2013, II R 5/13, BFH/NV 2013, 1428; BFH v. 06.11.2014, VI R 39/14, BFH/NV 2015, 339). Im Fall der Erkrankung des Bevollmächtigten genügt es für...