Tz. 41
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Von einer Ermessensunterschreitung (Ermessensausfall Ermessensnichtgebrauch) spricht man dann, wenn die Finanzbehörde von dem ihr eingeräumten Ermessen überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Behörde aus Nachlässigkeit handelt oder irrtümlich davon ausgeht, dass bei Anwendung einer Norm generell oder im konkreten Einzelfall kein Ermessenspielraum besteht bzw. eine gebundene Entscheidung zu treffen ist. Dies gilt auch, wenn die Behörde trotz eingeräumten Ermessens untätig bleibt.
Tz. 42
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Demzufolge ist ein Ermessensausfall gegeben, wenn die Finanzbehörde eine Ermessensnorm falsch auslegt und sich nicht darüber bewusst ist, dass ihr ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde (FG MV v. 12.08.1998, 2 V 44/98, EFG 1998, 1474; FG Ddorf v. 03.08.2000, 11 K 6126/97 BG, EFG 2000, 1174). Eine Ermessensunterschreitung ist auch anzunehmen, wenn die Behörde trotz Ermessensspielraum davon ausgeht, dass sie zu einem bestimmten Handeln verpflichtet sei. Denkbar ist auch, dass sich die Behörde fälschlicherweise an ein Gesetz oder eine Verwaltungsanweisung gebunden fühlt (BFH v. 05.05.1977, IV R 116/75, BStBl II 1977, 639; FG Ddorf v. 13.07.2000, 18 K 8833/99, DStRE 2001, 212). Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO) ist wegen Ermessensnichtgebrauchs fehlerhaft, wenn sich der Sachbearbeiter an die Höhe des durch ein Computerprogramm errechneten Verspätungszuschlags gebunden fühlt und deshalb eigene Ermessenserwägungen unterlässt (FG Ddorf v. 13.07.2000, 18 K 8833/99, DStRE 2001). Ein Haftungsbescheid ist ermessensfehlerhaft, wenn das FA nur einen von mehreren Haftungsschuldnern in Anspruch nimmt, weil es wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht von der Existenz der übrigen Haftungsschuldner nichts weiß (FG Sa v. 04.03.2004, 2 K 116/01, EFG 2004, 1192).
Tz. 43
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine nicht oder nicht ausreichend begründete Ermessensentscheidung ist grds. rechtswidrig (s. Rz. 13 ff.). Fehlt überhaupt eine Begründung der Ermessensentscheidung, so legt das die Annahme einer Ermessensunterschreitung nahe (BFH v. 14.06.1983, VII R 4/83, BStBl II 1983, 695; FG Köln v. 14.01.1998, 6 V 6026/97, EFG 1998, 753, 755). Ein Ermessensnichtgebrauch ist bei fehlenden Ermessenserwägungen nur dann nicht anzunehmen, wenn ausnahmsweise kein Begründungszwang besteht (s. Rz. 14), insbes. in den Fällen des intendierten Ermessens (Rz. 7). Hier ist ein Ermessensfehler nur gegeben, wenn in einem vom Regelfall abweichenden Fall keine Abwägung vorgenommen wurde und keine Begründung für die Ermessensentscheidung vorliegt (vgl. BFH v. 26.06.2007, VII R 35/06, BStBl II 2007, 742).
Ebenso wie das Fehlen einer Begründung ist die floskelhafte Verwendung von Textbausteinen ohne Bezugnahme auf den Einzelfall als Ermessensunterschreitung zu werten; dies gilt nur dann nicht, wenn die die Begründung bildenden Textbausteine von dem Sachbearbeiter gerade unter Berücksichtigung des Einzelfalls ausgewählt wurden (BFH v. 18.08.1988, V R 19/83, BStBl II 1988, 929).