Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Zum Revisionsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung s. § 115 FGO Rz. 15.
Wichtigster Anwendungsfall dieses Revisionsgrundes ist die sog. Divergenzrüge, mit der der Beschwerdeführer geltend macht, das erkennende Gericht sei von der Rechtsauffassung eines anderen Gerichts abgewichen. Dies erfordert eine genaue Bezeichnung der Entscheidung, von der abgewichen worden ist, und zwar in einer Weise, der die Entscheidung ohne Zweifel identifizierbar macht. Dies erfordert in der Regel die Angabe des Aktenzeichens und des Datums oder Angabe einer allgemein zugänglichen Fundstelle. Die Notwendigkeit die Entscheidung zu bezeichnen, bedingt zwangsläufig, dass in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze sowohl des angegriffenen FG-Urteils als auch der Divergenzentscheidung so genau bezeichnet werden, dass eine Abweichung erkennbar ist (BFH v. 08.05.2013, III B 140/12, BFH/NV 2013, 1248; BFH v. 13.02.2012, II B 12/12, BFH/NV 2012, 772). Dementsprechend genügt es nicht, Rechtssätze aus bestimmten Entscheidungen anzuführen und hinsichtlich des angegriffenen FG-Urteils lediglich auszuführen, dass dieses im Hinblick auf die bezeichneten Rechtssätze fehlerhaft sei; denn in einem solchen Fall wird aus der Beschwerdeschrift nicht mit ausreichender Deutlichkeit ersichtlich, ob die finanzgerichtliche Entscheidung auf einer Abweichung von der Rechtsprechung eines anderen Gerichts oder auf einer lediglich unrichtigen Anwendung der vom FG beachteten Rechtssätze dieser Entscheidungen beruht (s. BFH v. 10.08.1987, V B 70/7, BFH/NV 1988, 242; BFH v. 05.10.2010, X B 72/10, BFH/NV 2011, 273; BFH v. 08.08.2013, II B 3/13, BFH/NV 2013, 1805). Dem Begründungserfordernis einer auf Divergenz gestützten NZB ist deshalb auch nicht genügt, wenn lediglich geltend gemacht wird, der dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Sachverhalt unterscheide sich von demjenigen, der einer vom FG angeführten Entscheidung zugrunde gelegen hat (BFH v. 04.02.1987, II B 147/96, BFH/NV 1988, 305). Dieselben Grundsätze gelten für die Darstellung der Divergenz zu einer Entscheidung des BVerfG.
Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Divergenz muss sich auf Rechtsfragen beziehen, die für die Entscheidung des Rechtsstreits entscheidungserheblich waren, nur beiläufig in der Entscheidung genannte Rechtsansichten, sog. obiter dicta, reichen nicht aus (a. A. Seer in Tipke/Kruse, § 116 FGO, Rz. 54); allerdings kann in diesen Fällen eine "vorbeugende" Revisionszulassung in Betracht kommen (s. Rz. 18).
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Da § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO sich nicht auf die Divergenzrevision beschränkt, sondern allgemein die Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung nennt, kann der BFH die Revision auch dann auf die NZB zulassen, wenn ein allgemeines Interesse an einer "vorbeugenden" Entscheidung des BFH besteht (s. § 115 FGO Rz. 15). In diesem Fall muss der Beschwerdeführer allerdings zumindest darlegen, warum ohne eine Entscheidung des BFH zu befürchten ist, dass es in der näheren Zukunft möglicherweise zu Rechtsprechungsdivergenzen kommt oder dass anderweitiger Bedarf an einer (erneuten) Entscheidung des BFH besteht. Insoweit bedarf u. E. dieser Revisionsgrund nicht der strengen Darlegung der Voraussetzungen der Grundsatzrevision nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO, wenngleich auch die Abgrenzung nicht klar vorzunehmen ist. Der BFH hingegen macht von dieser u. E. gesetzlich gewollten Erweiterung der Möglichkeiten der Revisionszulassung keinen Gebrauch. Unter diese Fallgruppe fallen u. E. auch die Fälle der sog. nachträglichen Divergenz, wenn die divergierende Entscheidung nach Ablauf der Begründungsfrist ergeht oder zugänglich wird und der Beschwerdeführer daher keine Möglichkeit hatte, diese in seiner Begründung zu verwerten. Allerdings muss die Begründung – die neue divergierende Entscheidung hinweggedacht – für sich genommen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 3 FGO erfüllt haben; Begründungsmängel können auf diese Weise nicht geheilt werden (s. BFH v. 16.12.1999, IV B 32/99, BFH/NV 2002, 1160; BFH v. 24.08.2004, IX B 146/03, n. v.).
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Soweit der Beschwerdeführer sich auf die Willkürlichkeit der Entscheidung beruft (s. § 115 FGO Rz. 19), erfordert die Darlegungspflicht, dass substantiiert dargelegt wird, warum die angefochtene Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (BFH v. 26.09.2017, XI B 65/17, n. v.). Nur in seltenen Ausnahmefällen kann die Darlegung entbehrlich sein, wenn die Willkür offensichtlich ist; es muss der Entscheidung ohne Weiteres anzusehen sein, dass sie jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt (gl. A. Ruban in Gräber, § 116 FGO Rz. 45).