Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Weil Haftungsbescheide Steuerbescheiden nicht gleichstehen (s. Rz. 15), sind auch die Vorschriften über die Festsetzungsfrist (s. §§ 169 bis 171 AO) auf den Erlass von Haftungsbescheiden nicht unmittelbar anwendbar. § 191 Abs. 3 bis 5 AO treffen daher für die zeitliche Zulässigkeit von Haftungsbescheiden Sonderregelungen. Die in § 191 Abs. 3 bis 5 AO geregelten zeitlichen Schranken betreffen lediglich den Erlass des Haftungsbescheids. Sie sind für die Frage der zeitlichen Zulässigkeit einer späteren vollen oder teilweisen Rücknahme ohne Bedeutung (BFH v. 12.08.1997, VII R 107/96, BStBl II 1998, 131). Für eine ausweitende Änderung von Haftungsbescheiden, die sich verfahrensrechtlich als Neuerlass eines Haftungsbescheids insoweit darstellen, als die Ausweitung reicht, gelten jedoch § 191 Abs. 3 bis 5 AO.
Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Es gibt keine steuerrechtliche Festsetzungsfrist für Duldungsansprüche (s. AEAO zu § 191, Nr. 6; s. § 77 AO Rz. 6). Die in §§ 3, 4 und 6 des AnfG enthaltenen Fristen sind zu beachten (s. § 191 Abs. 1 Satz 2 AO).
I. Haftung aus Steuergesetzen
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Sofern sich die Haftung aus den Steuergesetzen ergibt, sind nach § 191 Abs. 3 Satz 1 AO die Vorschriften über die Festsetzungsfrist (s. §§ 169 bis 171 AO) entsprechendanzuwenden (BFH v. 23.03.1993, VII R 38/92, BStBl II 1993, 581; BFH v. 05.10.2004, VII R 77/03, BStBl II 2005, 122 zu § 171 Abs. 3a AO). Die Festsetzungsfrist beträgt grundsätzlich vier Jahre. Das gilt unabhängig von der Festsetzungsfrist, die für die Festsetzung des Primäranspruchs gilt, für den gehaftet werden soll. Für Haftungsbescheide gegen Personen, die gem. § 70 AO als Vertretene wegen einer Steuerhinterziehung haften, die Personen i. S. der §§ 34, 35 AO bei Ausübung ihrer Obliegenheiten als Täter oder Beteiligte begangen haben, beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre bzw. bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre (BFH v. 07.02.2002, V B 86/01, BFH/NV 2002, 755). Für den Erlass von Haftungsbescheiden gegen Personen, die als Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nach § 71 AO haften, gilt eine zehnjährige Festsetzungsfrist. Die verlängerte Frist gilt nur in den Fällen, in denen die Haftungsbescheide auf § 70 bzw. § 71 AO gestützt werden, nicht aber dann, wenn das FA seinen Anspruch aus § 69 AO herleitet (BFH v. 22.04.2008, VII R 21/07, BStBl II 2008, 735).
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der die Haftung bewirkende Tatbestand verwirklicht worden ist (s. § 191 Abs. 3 Satz 3 AO). Die Haftungsschuld entsteht mit Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Norm. Nach Auffassung des BFH ist bei § 69 AO der Schadenseintritt kein konstitutives Tatbestandsmerkmal (BFH v. 04.09.2002, I B 145/01, BStBl II 2003, 223; a. A. FG Bre v. 26.11.1998, 497257 K 1, EFG 1999, 518). Dies entspricht § 199 Abs. 3 BGB, wonach bei sonstigen Schadensersatzansprüchen das auslösende Element für die Verjährungsfrist nicht nur die Entstehung des Schadens (Satz 1 Nr. 1: Frist zehn Jahre), sondern auch die Begehung der schadensstiftenden Handlung (Satz 1 Nr. 2: Frist 30 Jahre) ist. Maßgeblich ist die früher endende Frist (s. § 199 Abs. 3 Satz 2 BGB).
Tz. 20
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 191 Abs. 3 Satz 4 1. HS AO stellt sicher, dass ein Haftungsbescheid in jedem Fall noch so lange ergehen kann, als der Anspruch gegen den Primärschuldner noch festgesetzt werden kann, ohne dass dieser Anspruch auch tatsächlich festgesetzt sein muss (Arg. s. § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO). Der Ablauf der für den Haftungsbescheid geltenden Festsetzungsfrist ist daher bis zum Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist gehemmt. Bei der Haftung für Steuerabzugsbeträge ist die Frist für die entsprechende Steueranmeldung maßgeblich (BFH v. 06.03.2008, VI R 5/05, BStBl II 2008, 597; BFH v. 15.01.2015, I R 33/13, BFH/NV 2015, 797; AEAO zu § 191, Nr. 9). Der Festsetzung stehen andere gesetzlich geregelte Formen der Geltendmachung gleich, wie z. B. die Feststellung zur Insolvenztabelle (§§ 174ff. InsO, BFH v. 22.06.2011, VII S 1/11, BFH/NV 2011, 2014 zur Lage nach der GesO). Ist der Anspruch, für den gehaftet werden soll, bereits festgesetzt worden, so wirkt diese Festsetzung in sinngemäßer Anwendung des § 171 Abs. 10 AO für die Verjährung des Haftungsbescheides wie ein Grundlagenbescheid, sodass die für den Haftungsbescheid geltende Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Bescheids gegen den Anspruchsschuldner abläuft (s. § 191 Abs. 3 Satz 4 2. HS AO; BFH v. 05.10.2004, VII R 7/04, BStBl II 2006, 343). Dies bewirkt aber keine Verkürzung der ggf. länger laufenden Regelfrist (BFH v. 22.06.2011, VII S 1/11, BFH/NV 2011, 2014).
Tz. 21
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine erhebliche Ausdehnung der Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid bewirkt § 191 Abs. 3 Satz 5 AO: In den Fällen der Haftung einer Organgesellschaft (s. § 73 AO) und des Ei...