Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Wortlaut der Vorschrift verlangt keine Umgehungsabsicht (a. A. zu § 42 AO a. F. BFH v. 23.10.1991, I R 40/89, BStBl II 1992, 1026; BFH v. 05.02.1992, I R 127/80, BStBl II 1992, 532; BFH v. 27.11.2005, IX R 76/03, BStBl II 2006, 359: Gesamtplan). Wie bei jeder Gesetzesumgehung genügt der objektive Verstoß gemessen an den Steuerrechtsnormen.
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der im äußeren Erscheinungsbild ungewöhnliche Charakter eines Vertrages oder einer sonstigen Rechtsgestaltung muss allerdings seine Ergänzung in inneren Tatsachen finden, um zur Annahme einer Steuerumgehung zu führen. Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts muss zur Umgehung des Steuergesetzes eingesetzt werden (§ 42 Abs. 1 Satz 1 AO). Der bestimmende Beweggrund des oder der Urheber muss in der Absicht bestehen, eine bestimmte Steuerpflicht zu vermeiden oder zu vermindern. Die so gewählte Gestaltung muss sich, um in den Verdacht der Steuerumgehung zu geraten, in ihrem wirtschaftlichen Effekt zumindest in der Umgehung eines bestimmten Steuertatbestandes bewegen (BFH v. 05.05.1970, II R 98/69, BStBl II 1970, 757). Vielfach konkurriert die Absicht der Steuervermeidung mit anderen nichtsteuerlichen Beweggründen, die zu der gewählten Gestaltung geführt haben. Je beachtlicher diese sind, um so mehr gerät der vermeintliche Missbrauchscharakter des beschrittenen Weges in den Hintergrund (s. Rz. 14).
Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Je eindeutiger die Steuerersparungsabsicht der Beteiligten jedoch dem Sinn der Steuerrechtsordnung widerspricht, umso näher liegt die Vermutung, dass die bei förmlicher Betrachtung zur Steuervermeidung führende Gestaltung eine ungewöhnliche und damit missbräuchliche Maßnahme darstellt. Die Entkräftung dieser Vermutung obliegt dem Stpfl. (s. Rz. 37).
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Was dem freien Belieben der Pflichtigen vom Gesetzgeber bewusst überlassen war, muss respektiert werden, auch wenn kein anderer Beweggrund ersichtlich ist als die Absicht der Steuerersparung. Das gilt etwa für die Wahl zwischen mehreren Gestaltungsmöglichkeiten eines Vorhabens (BFH v. 17.10.1958, V 5/58 U, BStBl III 1958, 475: Enthaltung von steuerschädlichen Bearbeitungsmaßnahmen). Die Annahme eines Missbrauchs liegt aber wieder nahe, wenn die gewählte Gestaltung gekünstelt anmutet (BFH v. 22.01.1960, V 52/82 S, BStBl III 1960, 111).
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Überlegungen zeigen, dass die Qualifizierung einer geschäftlichen Gestaltung als Missbrauch ohne Berücksichtigung der Beweggründe, von denen sich die Beteiligten leiten lassen, häufig nicht möglich ist.
Tz. 20
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für das Umsatzsteuerrecht deutet sich durch die Rechtsprechung des EuGH eine Veränderung des Missbrauchbegriffs an. Er nimmt zwei Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs an. Die gewählte Gestaltung muss trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit den Bestimmungen verfolgten Zweck zuwiderlaufen würde und aus einer Reihe von objektiven Anhaltspunkten muss ersichtlich sein, dass mit der fraglichen Gestaltung ein Steuervorteil bezweckt wird (EuGH v. 21.02.2006, Rs. C-255/02, Halifax, DB 2006, 541; EuGH v. 16.12.2010, Rs. C - 277/09, RBS Deutschland, DStR 2011, 66; BFH v. 09.11.2006, V R 43/04, BStBl II 2007, 344). Damit ergeben sich andere Voraussetzungen für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs, als sie § 42 AO vorsieht (List, DB 2007, 131; Wäger, DStR 2011, 49).