Tz. 10

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Liegen die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags vor, hat die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) darüber zu entscheiden, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird (Entschließungsermessen) und in welcher Höhe dieses geschieht (Auswahlermessen). Für beide Ermessensentscheidungen bezeichnet § 152 Abs. 2 Satz 2 AO die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte; sie müssen beachtet werden, um dem Gesetzeszweck gerecht zu werden (so auch entgegen dem missglückten Wortlaut der von "neben" spricht: Seer in Tipke/Kruse, § 152 AO Rz. 29 m. w. N.). Darüber hinaus enthält § 152 Abs. 2 Satz 1 AO zu beachtende Ermessensgrenzen. Strategien zur Vermeidung eines Verspätungszuschlags finden sich bei Lemaire, AO-St 2002, 229.

I. Entschließungsermessen

 

Tz. 11

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ob die Finanzbehörde überhaupt einen Verspätungszuschlag festsetzt, liegt in ihrem Ermessen, von dem sie dem Zweck der Ermächtigung (dazu s. Rz. 1) entsprechend und damit auch unter Berücksichtigung der in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO vorgegebenen Kriterien (dazu s. Rz. 16 ff.) Gebrauch zu machen hat (BFH v. 11.06.1997, X R 14/95, BStBl II 1997, 642). Nicht erforderlich ist jedoch, dass sich die Fristüberschreitung tatsächlich auf das Veranlagungsverfahren i. S. einer Verzögerung ausgewirkt hat (BFH v. 26.06.2002, IV R 63/00, BStBl II 2002, 679; BFH v. 10.10.2001, XI R 41/00, BStBl II 2002, 124; a. A. Seer in Tipke/Kruse, § 152 AO Rz. 23 f. m. w. N.). Zu den einzelnen Gesichtspunkten der Ermessensausübung vgl. BFH v. 28.03.2007, IX R 22/05, BFH/NV 2007, 1450.

 

Tz. 12

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Selbst bei einer kurzen Fristüberschreitung kann die Festsetzung ermessensgerecht sein. Gleiches gilt für den Fall der erstmaligen Fristüberschreitung (BFH v. 11.06.1997, X R 14/95, BStBl II 1997, 642). Führt die Steuerfestsetzung zu einer Erstattung, schließt dieses die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nicht aus (BFH v. 26.06.2002, IV R 63/00, BStBl II 2002, 679; a. A. Brockmeyer in Klein, 9. Aufl., § 152 AO Rz. 9). Anders ist es wegen des Wortlauts des § 152 Abs. 2 Satz 1 AO bei einer Festsetzung der Steuer auf 0 EUR (BFH v. 26.06.2002, IV R 63/00, BStBl II 2002, 679). Zur Kritik an den aus der gesetzlichen Regelung resultierenden Folgen s. Rätke in Klein, § 152 AO Rz. 15. Zum Fall der fehlenden Unterschrift s. Rz. 7.

II. Auswahlermessen

1. Ermessensgrenzen

 

Tz. 13

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Die Höhe des festzusetzenden Verspätungszuschlags ist doppelt begrenzt. Er darf höchstens 10 % der festgesetzten Steuer (und nicht des "Zahlbetrages", BFH v. 19.11.2013, XI B 50/13, BFH/NV 2014, 295) oder des festgesetzten Messbetrags und zudem höchstens 25 000 EUR betragen (§ 152 Abs. 2 Satz 1 AO). In Verfahren über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sind die steuerlichen Auswirkungen zu schätzen (§ 152 Abs. 4 AO, s. Rz. 20 f.). Unerheblich ist, ob die Festsetzung der Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht oder vorläufig erfolgt. Zu möglichen Folgen einer Änderung der Steuerfestsetzung s. Rz. 31 f.

 

Tz. 14

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Der Höchstbetrag von 25 000 EUR kann auch dadurch ausgeschöpft werden, dass ein Verspätungszuschlag von bspw. 4 % ermessensgerecht ist, dieser jedoch den Betrag von 25 000 EUR übersteigt; der absolute Höchstbetrag stellt damit – anders als der Satz von 10 %, der auch Orientierungsmaßstab für die Bemessung des Verspätungszuschlags sein kann – eine Kappungsgrenze dar (Seer in Tipke/Kruse, § 152 AO Rz. 40 ff., s. auch BFH v. 11.06.1997, X R 14/95, BStBl II 1997, 642).

 

Tz. 15

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Die Festsetzung von Verspätungszuschlägen wegen verspäteter Abgabe von Steuervoranmeldungen hindert die Finanzbehörde nicht, wegen verspäteter oder Nichtabgabe der Jahreserklärung wiederum einen Verspätungszuschlag festzusetzen (s. BFH v. 16.05.1995, XI R 73/94, BStBl II 1996, 259, auch zu den Auswirkungen auf die Höhe der Verspätungszuschläge zu den geschätzten USt-Voranmeldungsbeträgen im Hinblick auf die relative Grenze des § 152 Abs. 2 AO); gleiches gilt für das Verhältnis von Feststellungsverfahren (§ 179ff. AO) zu Steuerfestsetzungsverfahren. Hierbei ist jede Pflichtwidrigkeit für sich allein zu beurteilen. Die absolute Höchstgrenze von 25 000 EUR gilt nur in Bezug auf den einzelnen Verspätungszuschlag. Auch kann die Summe der festgesetzten Verspätungszuschläge die Grenze von 10 % der Jahressteuer überschreiten (a. A. Mösbauer in K/S, § 152 AO Rz. 10). Allerdings ist im Rahmen der Ermessensausübung die mit der Grenze von 10 % vorgegebene Wertung des Gesetzgebers angemessen zu berücksichtigen.

2. Zu berücksichtigende Ermessenskriterien

 

Tz. 16

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Für die Ermessensausübung anlässlich der Entscheidung, in welcher Höhe der Verspätungszuschlag im Einzelfall festgesetzt werden soll, sind nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO neben dem Zweck des Verspätungszuschlags (dazu s. Rz. 1; zum Inhalt des missglückten Wortlauts s. Rz. 10) die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergeb...

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