Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 26
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 191 Abs. 2 AO enthält eine Sonderregelung für den Erlass von Haftungsbescheiden gegen Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer, die wegen Handlungen i. S. des § 69 AO, die sie in Ausübung ihres Berufes vorgenommen haben, haftbar gemacht werden sollen. Vor Erlass eines Haftungsbescheids ist in solchen Fällen der zuständigen Berufskammer (bei Mehrfachzulassung allen zuständigen Berufskammern) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dadurch soll sichergestellt werden, dass bei der Entscheidung des FA auch den standesrechtlichen Gesichtspunkten ausreichend Rechnung getragen wird (s. § 411 AO für das Bußgeldverfahren gegen die genannten Berufsträger). Für Steuerberatungs-, Wirtschaftsprüfungs- und Buchprüfungsgesellschaften ist § 191 Abs. 2 AO entsprechend anzuwenden (Loose in Tipke/Kruse, § 191 AO Rz. 30).
Tz. 27
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nur soweit der Berufsträger in Ausübung seines Berufs gehandelt hat, muss das FA nach § 191 Abs. 2 AO vorgehen (für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte s. § 2 StBerG). Handelt es sich um eine anderweitige Tätigkeit, ist das anspruchsschädigende Verhalten also nicht der jeweiligen spezifischen Berufstätigkeit zuzurechnen, braucht die zuständige Berufskammer nicht eingeschaltet zu werden. Stets ist somit darauf abzustellen, ob der Betroffene in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt usw. tätig war. Ein Rechtsanwalt oder Steuerberater, der z. B. als gesetzlicher Vertreter seiner Kinder handelt, ist nicht in Ausübung seines Berufes tätig. Wird er jedoch mit Rücksicht auf seinen Beruf als Vormund eines Kindes bestellt, gilt § 191 Abs. 2 AO ebenso wie bei einer berufsbedingten Tätigkeit als Insolvenzverwalter (FG RP v. 18.01.1985, 6 K 116/82, EFG 1985, 426), Testamentsvollstrecker (BFH v. 13.05.1998, II R 4/96, BStBl II 1998, 760), Nachlassverwalter, Liquidator (a. A. FG Ha v. 10.02.2009, 2 K 251/07, EFG 2009, 890 mit ablehnender Anmerkung Eppers), Pfleger, Notvorstand eines Vereins oder einer AG oder Notgeschäftsführer einer GmbH (BFH v. 17.10.1957, V 167/55 U, BStBl III 1957, 453). Ist dagegen ein Berufsträger ständig als Geschäftsführer z. B. einer GmbH angestellt, so erfüllt er bei Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft keine für seinen Beruf i. S. des § 191 Abs. 2 AO spezifischen Pflichten, selbst wenn er – zu Recht oder zu Unrecht – im Übrigen weiter Berufsangehöriger sein sollte (s. § 46 BRAO). Dies gilt auch z. B. für einen Steuerberater, der als Geschäftsführer einer Steuerberatungs-GmbH i. S. des § 49 StBerG fungiert: bei Erfüllung der eigenen steuerlichen Pflichten der Steuerberatungs-GmbH handelt er nicht in Ausübung seines Steuerberaterberufes (BFH v. 11.11.1986, VII R 87/82, BFH/NV 1987, 419).
Tz. 28
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wie in § 69 AO Rz. 3 ausgeführt, fällt die reine Beratungs- und Vertretungstätigkeit in Steuersachen in keinem Fall unter die §§ 34 und 35 AO und kann daher auch nicht zur Haftung gem. § 69 AO führen. Hieraus ergibt sich in Verbindung mit der ausdrücklichen Bezugnahme auf Handlungen, die in Ausübung des Berufs vorgenommen worden sind, eine erhebliche Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 191 Abs. 2 AO.
Tz. 29
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist die Anhörung unterblieben, ist der Haftungsbescheid nicht nichtig (s. § 125 Abs. 3 Nr. 4 AO) wohl aber anfechtbar. Zur Nachholung der Anhörung bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens s. § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO. § 126 Abs. 2 AO eröffnet u. E. nicht uneingeschränkt die Möglichkeit, die Mitwirkung im Klageverfahren nachzuholen. Die Stellungnahme der Kammer hat auch Bedeutung für die Ermessensentscheidung des FA. Ihre erstmalige Berücksichtigung im Klageverfahren würde über die nach § 102 Satz 2 FGO zugelassene Ergänzung der Ermessensabwägung hinausgehen. Gibt die zuständige Berufskammer trotz entsprechender Aufforderung (Frist i. d. R. zwei Monate: s. AEAO zu § 191, Nr. 8) durch das FA keine Stellungnahme ab, berührt dies die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nicht (BFH v. 26.11.1985, VII R 149/81, BFH/NV 1986, 134).