Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die in § 170 Abs. 5 AO getroffenen Sonderregelungen für die Erbschaft- und Schenkungsteuer knüpfen an den nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO festzustellenden Beginn der Festsetzungsfrist an, ohne diese zu verdrängen. Solange also der Anlauf der Frist für die Festsetzung der Schenkungsteuer nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gehemmt ist, kann § 170 Abs. 5 AO nicht dazu führen, dass die Festsetzungsfrist zu einem früheren Zeitpunkt beginnt (BFH v. 14.07.2008, II B 5/08, BFH/NV 2008, 1815).
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO löst Konfliktsituationen, die auftreten könnten, wenn der Erbe oder ein anderer Begünstigter erst nach Jahren Kenntnis von seinem Erwerb erhält und deshalb auch nicht in der Lage ist, seiner Anmeldepflicht nach § 30 ErbStG so rechtzeitig nachzukommen, dass die Veranlagung vor Ablauf der sich aus § 170 Abs. 1 und 2 AO ergebenden Frist erfolgen kann. Kenntnis i. S. des § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO ist wie in § 30 ErbStG auszulegen (FG Mchn v. 18.07.2001, 4 K 4507/98, EFG 2002, 5; Meincke, § 30 ErbStG Rz. 37). Demnach erlangt der Erbe Kenntnis von dem Erwerb, wenn er zuverlässig erfahren und damit Gewissheit erlangt hat, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung zum Erben eingesetzt hat und keine objektiven Zweifel am Bestand der letztwilligen Verfügung oder des Vermögensübergangs bestehen (BFH v. 27.04.1988, II R 253/85, BStBl II 1988, 818; BFH v. 28.09.1993, II R 34/92 NVwZ-RR 1995, 239). Dem Erben müssen nur der Erwerbsgrund und die Höhe seines Erbanteils bekannt sein; eine zutreffende rechtliche Beurteilung des Erwerbes ist nicht erforderlich (FG Ha v. 29.04.1987, II 208/84, EFG 1987, 572; FG Mchn v. 18.07.2001, 4 K 4507/98, EFG 2002, 5; Cöster in Koenig, § 170 AO Rz. 46). Im Falle der gesetzlichen Erbfolge liegt sichere Kenntnis dann vor, wenn der Erbe davon ausgehen kann, dass kein Testament existiert, und wenn er sicher weiß, dass ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung nicht vorhanden ist (BFH v. 08.03.1989, II R 63/86, BFH/NV 1990, 444). Eine ausreichende Kenntnis erfordert nicht die Erteilung eines Erbscheins nach §§ 2353ff. BGB, es sei denn die Verhältnisse des Erbfalls sind völlig unklar (Banniza in HHSp, § 170 AO Rz. 59). Bei unbekannten Erben kann die Festsetzungsfrist nicht ablaufen, bevor der oder die richtigen Erben gefunden sind (Drüen in Tipke/Kruse, § 170 AO Rz. 22). Im Falle der gewillkürten Erbfolge erfordert die Kenntnis, dass ein Testament eröffnet wird (BFH v. 08.03.1989, II R 63/86, BFH/NV 1990, 444; BFH II R 18/80, BStBl II 1982, 276; Drüen in Tipke/Kruse, § 170 AO Rz. 23 m. w. N.).
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 1. Alt. AO beginnt die Festsetzungsfrist bei einer Schenkung mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Schenker gestorben war. Hierdurch wird berücksichtigt, dass die Schenkungen, insbes. zwischen nahen Angehörigen, erst wegen der Anrechnung auf den Erbteil im Rahmen der Erbschaftsteuererklärung gegenüber der Finanzbehörde offenbart werden (BFH v. 06.05.1981, II R 61/77, BStBl II 1981, 688). Für den Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO ist es jedoch ausreichend, wenn nur einer der beiden Tatbestände erfüllt ist (BFH v. 05.02.2003, II R 22/01, BStBl II 2003, 502). Demzufolge beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 2. Alt. AO bereits vor dem Tod des Schenkers, wenn die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Kenntnis bedeutet hierbei positive Kenntnis der Finanzbehörden (BFH v. 28.05.1998, II R 54/95, BStBl II 1998, 647), und zwar der organisatorisch zur Verwaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer berufenen Dienststelle des zuständigen FA (BFH v. 05.02.2003, II R 22/01, BStBl II 2003, 502). Voraussetzung hierfür ist, dass der Vorgang der Finanzbehörde in einer Weise bekannt geworden ist, dass sie in der Lage ist, zu prüfen, ob ein steuerpflichtiger Vorgang vorliegt oder nicht (Drüen in Tipke/Kruse, § 170 AO Rz. 25). Positive Kenntnis i. S. von § 170 Abs. 5 Nr. 2 2. Alternative AO ist demnach gegeben, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige FA nicht durch Anzeige gem. § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten, Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat (BFH v. 08.03.2017, II R 2/15, BStBl II 2017, 751). Nicht ausreichend ist die Kenntnis von Umständen, die Anlass zu einer steuerrechtlichen Prüfung geben, wenn weitere Ermittlungen seitens der Finanzbehörde erforderlich sind (BFH v. 29.11.2005, II B 151/04, BFH/NV 2006, 700; BFH v. 26.07.2017, II R 21/16, BStBl II 2017, 1163; Cöster in Koenig, § 170 AO Rz. 53; Banniza in HHSp, § 170 AO Rz. 68). In welcher Form die Finanzbehörde Kenntnis von der Schenkung erlangt hat, ist unerheblich. Demnach muss nicht in jedem Fall eine Steuererklärung abgegeben werden. Ausreichend sind auch die von Pflichtigen nach §§ 30, 33, 34 ErbStG erstatteten Anzeigen. Wird ein Schenkungsvorgang ...