Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung. Der daraus folgende Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besagt, dass das – voll besetzte – Gericht (§ 5 FGO) grds. den Beweis in der mündlichen Verhandlung erheben muss. Das FG muss sich die Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen also grds. selbst verschaffen (z. B. BFH v. 01.10.2012, V B 9/12, BFH/NV 2013, 387; zu den Ausnahmen s. Rz. 8 ff.). Außerdem folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO, dass das Gericht die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen in weitestmöglichem Umfang aus der Quelle selbst schöpfen muss, d. h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen Beweismittel durchführen, das ihm den unmittelbarsten Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt (BFH v. 08.11.2016, X B 28/16, BFH/NV 2017, 307). Der Sinn des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und des aus ihm folgenden Gebots, Zeugen grundsätzlich selbst zu hören und sich nicht mit nur schriftlich übermittelten Bekundungen derselben zu begnügen, besteht darin, es dem Gericht zu ermöglichen, aufgrund des persönlichen Eindrucks von den Zeugen und durch kritische Nachfrage die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu überprüfen (z. B. BFH v. 26.07.2010, VIII B 198/09, BFH/NV 2010, 2096). Dazu gehört es auch, einem Zeugen den Inhalt beigezogener Akten vorzuhalten und insoweit eventuell auftretende Widersprüche mit seiner Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (BFH v. 18.05.2012, III B 203/11, BFH/NV 2012, 1464). Daher ist es ihm verboten, anstelle des erreichbaren unmittelbaren Beweismittels ein bloß mittelbares heranzuziehen (BFH v. 28.07.2008, IX B 13/08, BFH/NV 2008, 2029). Das gilt namentlich bei schwieriger Beweislage (s. BFH v. 13.10.1960, IV 302/59 U, BStBl III 1960, 526) oder bei maßgeblicher Bedeutung des persönlichen Eindrucks (Glaubwürdigkeit) von Zeugen oder zu vernehmenden Beteiligten, etwa des Steuerpflichtigen selbst (BFH v. 17.08.1961, IV 50/59, HFR 1962, 139; BFH v. 18.11.1971, VIII 21/65, BStBl II 1972, 399). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit verbietet daher regelmäßig für die gegen den Widerspruch des Klägers erfolgte Beiziehung und Verwertung von Akten, obwohl die Erhebung unmittelbarer Beweise möglich ist und sich dies dem FG aufdrängen muss (BFH v. 12.06.1991, III R 106/87, BStBl II 1991, 806 betr. familiengerichtliche Akten; auch BFH v. 26.09.2003, III B 112/02, BFH/NV 2004, 210; BFH v. 17.05.2005, VI B 162/04, BFH/NV 2005, 1613). Die Vernehmung als Zeuge vom Hörensagen ist grds. zulässig (BFH v. 06.10.2005, IV B 28/04, BFH/NV 2006, 322). Ein im Ausland ansässiger Zeuge ist von dem Beteiligten, der die Vernehmung dieses Zeugen beantragt, dem Gericht zu stellen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 Abs. 2 AO; BFH v. 26.10.1998, I B 48/97, BFH/NV 1998, 506; BFH v. 03.04.2007, VIII B 60/06, BFH/NV 2007, 1341).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 81 FGO stellt auch klar, dass die Beweisaufnahme eine richterliche Aufgabe ist. Feststellungen anderer Behörden, insbes. von Orts- oder Polizeibehörden, können die Beweiserhebung vor dem erkennenden Gericht, dem beauftragten Richter oder einem anderen Gericht nicht ersetzen. Der Inhalt von polizeilichen Vernehmungsniederschriften darf nur mit Einverständnis der Beteiligten gleich einem Zeugenbeweis gewürdigt werden (BFH v. 18.11.1971, BStBl II 1972, 399). Das beteiligte FA darf mit der Erhebung von Beweisen keinesfalls betraut werden; seine Feststellungen sind ebenso Beteiligtenvorbringen wie das, was der Kläger vorträgt. Der Einsatz von gerichtlichen Prüfungsbeamten ist daher kritisch zu betrachten. Keine Bedenken bestehen jedoch, wenn die Ergebnisse ihrer Feststellungen im Rahmen einer Vernehmung des Prüfungsbeamten als sachverständigen Zeugen in den Prozess eingeführt werden (gl. A. Schallmoser in HHSp, § 81 FGO Rz. 31; eingehend zu dieser Problematik Seer, Der Einsatz von Prüfungsbeamten durch das FG). Der BFH betrachtet den Prüfungsbeamten als Sachverständigen, der als solcher in der mündlichen Verhandlung ohne die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gehört werden kann (BFH v. 02.08.2005, IV B 185/03, BFH/NV 2005, 2224).
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Grds. erfolgt die Beweisaufnahme aufgrund eines Beweisbeschlusses, den der Senat oder der Einzelrichter (§ 6 FGO oder § 79a Abs. 3 und Abs. 4 FGO) erlässt (§ 82 FGO i. V. m. §§ 358, 359 ZPO); in den Fällen des § 79 Abs. 3 FGO erlässt ihn der Vorsitzende/Berichterstatter (s. § 79 FGO Rz. 10). Die Anordnung der Beweisaufnahme durch förmlichen Beweisbeschluss ist nur erforderlich, wenn der Beweis nicht sofort in Anwesenheit der Beteiligten – insbes. in der mündlichen Verhandlung – erhoben wird, was Präsenz des Beweismittels voraussetzt. Beweisanträge der Beteiligten sind zwar zweckmäßig, jedoch nicht geboten; das Gericht ist an sie nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO). Das FG entscheidet selbst, welche Beweise ...