Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der BFH kann Urteile der FG nur auf Rechtsverletzungen nachprüfen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Damit korrespondiert, dass er bei dieser Prüfung grundsätzlich an die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO). Der BFH ist also keine Tatsacheninstanz, sodass es wegen des zweistufigen Aufbaus der Finanzgerichtsbarkeit nicht zu einer vollumfänglichen Neuprüfung der FG-Entscheidung kommt. Unbeachtlich ist, ob die tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand oder (unzweckmäßig) in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils enthalten sind (BFH v. 07.02.2007, X B 105/06, BFH/NV 2007, 962; BFH v. 27.05.2009, X R 62/06, BFH/NV 2009, 1793). Zu den Feststellungen gehören auch die Ausführungen im Sitzungsprotokoll. Bezugnahmen entfalten nur dann Bindungswirkung, wenn sie hinreichend konkret sind, insbes. muss der Gegenstand der Bezugnahme genau bezeichnet sein. Tatsächliches Vorbringen, das von diesen Feststellungen abweicht, kann der Bundesfinanzhof als Revisionsinstanz nicht berücksichtigen. Ebenso wenig sollen fehlende tatsächliche Feststellungen des FG durch übereinstimmenden – unstreitigen – Tatsachenvortrag der Beteiligten ersetzt werden dürfen (BFH v. 05.10.1999, VII R 152/97, BStBl II 2003, 93). Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn es sich um Tatsachen handelt, die ansonsten durch eine Restitutionsklage geltend gemacht werden könnten (BFH v. 19.05.2010, XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132). Diese strenge Ansicht entspricht der Förmlichkeit des Revisionsverfahrens und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass im finanzgerichtlichen Prozess der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die FG im Rahmen ihrer erstinstanzlichen Entscheidung nicht von einem unstreitigen Sachverhalt ausgehen dürfen. Wird ein solcher im FG-Urteil festgestellt, ist der BFH an diese Feststellungen gebunden.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Neue Tatsachen oder Beweismittel, die zur Erhärtung dieser Tatsachen führen sollen, können auf dem Wege der Revision nur dann in das Verfahren Eingang finden, wenn ihre Nichtberücksichtigung in der Entscheidung des FG auf einer Rechtsverletzung beruht, insbes. einem Verfahrensmangel. Ausnahmsweise können allerdings neue Tatsachen dann berücksichtigt werden, wenn sie sich auf Sachurteilsvoraussetzungen beziehen und damit für den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit erheblich sind (BFH v. 05.03.1986, 5/84, BStBl II 1986, 462; BFH v. 16.10.2008, IV R 74/06, BFH/NV 2009, 725). Als Beispiele seien erwähnt: Tatsachen, die die Unzulässigkeit des Finanzrechtswegs oder der Klage (BFH v. 25.03.2015, V B 163/14, BFH/NV 2015, 948) oder die Unterlassung einer notwendigen Beiladung betreffen. Das Gleiche gilt für die Prüfung der wirksamen Bekanntgabe eines (angefochtenen) Verwaltungsakts (BFH v. 11.12.1985, I R 31/84, BStBl II 1986, 474; differenzierend BFH v. 04.10.1989, V R 39/84, BFH/NV 1990, 409; a. A. Ruban in Gräber, § 118 FGO Rz. 46 mit dem Argument, der unwirksame Bescheid sei durch Sachurteil aufzuheben). Als unzulässiges neues tatsächliches Vorbringen ist das Aufgreifen eines Punktes im Revisionsverfahren zu würdigen, zu dem der Rechtsbehelfsführer vor dem Finanzgericht ausdrücklich erklärt hat, er wolle ihn nicht mehr bestreiten, sodass das Finanzgericht insoweit zu Recht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Sachverhalt des Finanzgerichtsurteils zu ergänzen.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die in § 118 Abs. 2 FGO angeordnete Bindung des Revisionsgerichts umfasst auch die Schlussfolgerungen des FG aus Tatsachenfeststellungen. Dies gilt nicht, wenn die Folgerungen mit den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen unvereinbar sind, denn solche Verstöße sind Fehler bei der Rechtsanwendung. Allerdings bleibt die Bindungswirkung nicht nur bestehen, wenn die Folgerung zwingend ist, es reicht aus, wenn eine andere Würdigung nur möglich erscheint (s. st. Rspr., u. a. BFH v. 27.01.2000, IV R 33/99, BStBl II 2000, 227; BFH v. 25.11.2010, VI R 34/08, BFH/NV 2011, 680). Deshalb kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob bei der Würdigung der festgestellten Tatsachen allgemeine Erfahrungssätze beachtet worden sind und ob das FG aufgrund der gezogenen Schlüsse zu dem Ergebnis kommen konnte. Ein Verstoß gegen Denkgesetze ist danach nur dann gegeben, wenn der durch das FG gezogene Schluss als schlechthin ausgeschlossen anzusehen ist. Ein in der Revisionsinstanz zu beachtender Verstoß liegt aber auch dann vor, wenn bei Würdigung der festgestellten Tatsachen allgemeine Begriffsbestimmungen nicht zutreffend verwendet werden oder aus den Entscheidungsgründen der FG-Entscheidung nicht erkennbar ist, aus welchen Tatsachen das Gericht seine Schlussfolgerungen herleitet. Eine Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Eine Überprüfung ist möglich, wenn das FG im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung maßgebliche Umstände nicht volls...