Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 33
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der angemessenen Gestaltung bedarf es gegebenenfalls der Aufhebung derjenigen Steuerfestsetzungen, die der Umgehungstatbestand ausgelöst hat. Das Ziel der Vorschriften über die Steuerumgehung besteht darin, im Ergebnis nicht die Umgehungsteuer, sondern die umgangene Steuer zu erheben. Dem würde es widersprechen, es daneben bei einer etwa bereits festgesetzten Umgehungsteuer zu belassen.
Tz. 34
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Besteuerung wird die den wirtschaftlichen Vorgängen entsprechend "angemessene" Gestaltung zugrunde gelegt. Das hat zur Folge, dass eben die Steuer erhoben wird, welche die Beteiligten vermeiden oder vermindern wollten. Eine doppelte Besteuerung, nämlich die Erhebung sowohl der umgangenen Steuer wie der Umgehungsteuer, wäre eine Art von Strafsanktion, die nicht im Sinne des Gesetzgebers liegt. In Fällen, in denen Steuern doppelt festgesetzt werden, weil bei Anwendung des § 42 AO bereits Steuern ohne Berücksichtigung dieser Vorschrift festgesetzt worden sind, kann die widerstreitende Steuerfestsetzung nach § 174 AO beseitigt werden. Hiernach ist, falls ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Pflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern. Verhältnismäßig einfach lassen sich auf diesem Wege die Fälle lösen, in denen der unter dem Gesichtspunkt der Steuerumgehung verworfene Sachverhalt und der den wirtschaftlichen Vorgängen angemessene Sachverhalt nur von einer Steuerart betroffen werden, sodass es nur um den Umfang der letzten Endes zu entrichtenden Steuer geht. Schwieriger liegt die Sache, wenn eine Rechtsgestaltung mehrere, strukturell verschiedene Steuern auslöst. Wird z. B. ein Grundstückskaufvertrag im Bereich der Ertragsbesteuerung nicht anerkannt, weil es sich in Wirklichkeit um ein Pachtverhältnis handelt, so führt dies nicht zur steuerlichen Unwirksamkeit des Vertrages auch für die Grunderwerbsteuer (BFH v. 30.11.1955, II 35/54 U, BStBl III 1956, 28). Der Fall betraf den Erwerb eines Grundstücks mit aufstehender Schlackenhalde, bezüglich deren Abbaues ein Pachtvertrag vorausgegangen war. Streitig war die von den Beteiligten vereinbarte Anrechnung eines zweijährigen Pachtzinses auf den Kaufpreis. Für die Körperschaftsteuer wurde die Einbeziehung in den Kaufpreis verneint, obwohl sie für die Grunderwerbsteuer erfolgt war. Der BFH hat die unterschiedlichen Strukturen der beiden Steuern hervorgehoben (Körperschaftsteuer: wirtschaftliche Tatbestände; Grunderwerbsteuer: bürgerlich-rechtliche Gestaltung) und die geforderte Anrechnung der entrichteten Grunderwerbsteuer auf die (infolge Erhöhung des Anfangsvermögens) nachgeforderte Körperschaftsteuer abgelehnt. Die Einbeziehung weiterer bzw. anderer Steuern in die Verhinderung einer "doppelten" Erfassung sei nur dort möglich, wo es sich um Steuerarten handele, die derart "miteinander im Zusammenhang stehen", wie z. B. die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer.
Tz. 35
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Dem Rechtssatz des § 42 Satz 4 AO, wonach bei Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts der Steueranspruch "so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht" (s. § 38 AO), entspricht die weitest mögliche Aufhebung der Umgehungssteuern. Eine Einschränkung dieser Maxime lässt sich nur aus besonderen Umständen herleiten, z. B. daraus, dass die Beteiligten den Umgehungstatbestand aufrechterhalten.