Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Als hilfreich für die richtige Zurechnung der Wirtschaftsgüter erweist sich der aus der Erfahrung gewonnene Satz, dass es für das Steuerrecht grundsätzlich und in erster Linie auf den inneren Gehalt und die wirtschaftliche Bedeutung der Sachverhalte ankommt. Die Maßgeblichkeit der rechtsförmlichen Gestaltung bildet insbes. dort die Ausnahme, wo der wirtschaftliche Gehalt von ihr abweicht. Sie kann – soweit eine Steuerrechtsnorm nicht ausdrücklich auf sie abstellt – nur aus dem besonderen Zweck des betreffenden Steuergesetzes gerechtfertigt werden.
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die rechtsförmliche Betrachtung gilt insbes. für die Verkehrsteuergesetze, soweit sie an Vorgänge des Rechtsverkehrs anknüpfen. So geht die Grunderwerbsteuer vom Wechsel des zivilen (grundbuchmäßigen) Eigentums aus, erfasst mithin auch den Erwerb von Treuhand- und Sicherungseigentum (BFH v. 23.10.1974, II R 87/73, BStBl II 1975, 152). Ob auch die tatsächliche Herrschaftsmacht wechselt, ist ohne Bedeutung (BFH v. 31.05.1972, II R 9/66, BStBl II 1972, 833). Nur soweit das Gesetz selbst zur Erfassung sonst möglicher Umgehungen auf wirtschaftlich ausgerichtete Ersatztatbestände abstellt (Beispiele: § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG), entscheidet der wirtschaftliche Gehalt des Sachverhalts.
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Unterschiedlich ist die Zurechnung von Umsätzen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes. Zwischen welchen Personen sich ein Leistungsaustausch abspielt, ist grundsätzlich nach rechtsförmlichen Kriterien zu entscheiden. Wer im eigenen Namen auftritt, dem ist die ausgeführte Leistung zuzurechnen, mag dies auch für Rechnung eines anderen geschehen, etwa eines Treugebers (BFH v. 16.03.2000, V R 44/99, BStBl II 2000, 361: verdecktes Eigengeschäft). Jedoch entfällt die Unternehmereigenschaft durch Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (s. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG).
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auch die Steuern vom Einkommen enthalten – allerdings nur ausnahmsweise – Tatbestände, für die über die Zurechnung von Wirtschaftsgütern primär nach rechtsförmlichen Kriterien zu entscheiden ist. So knüpft die Körperschaftsteuerpflicht subjektiv an das Gegebensein einer der in § 1 KStG aufgeführten Rechtsformen an. Schiebt ein Stpfl. eine Kapitalgesellschaft zwischen sich und den Rechtsverkehr, so kann das dieser gewidmete Vermögen nicht in "wirtschaftlicher Betrachtungsweise" ihm zugerechnet werden, mag seine wirtschaftliche Sachherrschaft auch noch so unbestreitbar sein.
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass den Zurechnungsbestimmungen des § 39 AO keine absolute, sondern nur eine subsidiäre Geltung zukommt, sodass ihre Anwendung die sich aus der Zielsetzung und der tatbestandlichen Ausgestaltung des einzelnen Steuergesetzes ergebenden Besonderheiten unberührt lässt.