Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Es muss eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung vorliegen. Die vorsätzliche Pflichtverletzung kann auch eine Haftung nach § 71 AO begründen. Es steht dem FA frei, ob es einen Haftungsbescheid neben § 69 AO auch auf § 71 AO stützt. Im Zweifelsfalle darf das FA die Frage des Vorliegens eines Vorsatzes auf sich beruhen lassen und sich mit der Feststellung einer groben Fahrlässigkeit begnügen (BFH v. 11.08.2005, VII B 312/04, BFH/NV 2005, 2153).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Vorsätzlich handelt, wer den Erfolg seines Handelns erkennt, ihn in seinen Handlungswillen mit einbezieht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt.
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Fahrlässig handelt, wer die ihm nach den gegebenen Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen (Kenntnissen, Erfahrungen, Einsichtsfähigkeit) zuzumutende Sorgfalt außer Acht lässt. § 69 Satz 1 AO setzt eine grob fahrlässige Pflichtverletzung voraus. Es muss sich also um eine schwerwiegende, bereits ohne erhöhte Anforderungen an die Gewissenhaftigkeit vermeidbare Außerachtlassung der Sorgfaltspflicht handeln. Nach der BFH-Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Geschäftsführer die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (BFH v. 18.01.2008, VII B 63/07, BFH/NV 2008, 754, BFH v. 23.09.2008, VII R 27/09, BStBl II 2009, 129). Ohne Bedeutung ist, ob der Verpflichtete die Folgen seines Handelns erkannt und nur darauf vertraut hat, dass sie nicht eintreten werden (bewusste Fahrlässigkeit), oder ob er den Erfolg seiner Pflichtwidrigkeit nicht vorausgesehen hat (unbewusste Fahrlässigkeit).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Da es beim Verschulden auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, lassen sich allgemeine Richtlinien kaum aufstellen. Das Verschulden muss in jedem Falle nachgewiesen werden, denn es gibt keine Verschuldensvermutungen etwa aus der bloßen Tatsache, dass Steuern am Fälligkeitstage nicht entrichtet sind. Es besteht keine Verpflichtung, vorhandene Mittel in erster Linie für Steuerzahlungen zu verwenden. Andererseits dürfen private Verbindlichkeiten nicht vor Steuerschulden bevorzugt befriedigt werden. Pflichtwidrig handelt auch, wer ungeachtet bestehender oder zu erwartender Steueransprüche selbst vor Fälligkeit oder gar vor Entstehung der später verkürzten Steueransprüche über die Mittel des Steuerschuldners anderweitig verfügt (BFH v. 26.04.1984, V R 128/79, BStBl II 1984, 776; BFH v. 05.03.1991, VII R 93/88, BStBl II 1991, 678; BFH v. 16.12.2003, VII R 77/00, BStBl II 2005, 249). Das Gleiche gilt für einen Geschäftsführer, der wegen der Steuerschuld einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat, über den aber im Zeitpunkt der Fälligkeit noch nicht entschieden ist (BFH v. 11.03.2004, VII R 19/02, BStBl II 2004, 967). Allgemein darf die Sorgfalt bei der Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen nicht geringer sein als diejenige, die bei der Wahrnehmung anderer Obliegenheiten aufgewendet wird.
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei Zahlungsschwierigkeiten müssen die vorhandenen Mittel gleichmäßig zur Befriedigung der privaten Gläubiger und des Fiskus eingesetzt werden (Grundsatz der anteiligen Tilgung: BFH v. 26.03.1985, VII R 139/81, BStBl II 1985, 539; BFH v. 17.07.1985, I R 205/80, BStBl II 1985, 702; BFH v. 14.06.2016, VII R 20/14, BFH/NV 2016, 1672; für vorläufige Eigenverwaltung durch GmbH.Geschäftsführer: FG Münster v. 06.02.2017, 7 V 3973/16 V, EFG 2017, 452). Dazu stellt der BFH (BFH v. 14.07.1987, VII R 188/82, BStBl II 1988, 172) klar, dass die Berechnung der Haftungssumme im Fall der Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerrückstände (auch im Voranmeldungsverfahren, BFH v. 12.07.1988, VII R 4/88, BStBl II 1988, 980) bei Nichtvorhandensein ausreichender Zahlungsmittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten (unter Einschluss der Personalaufwendungen, s. dazu Rz. 14; zur Berücksichtigung der Tätigkeitsvergütung eines geschäftsführenden Gesellschafters einer Personengesellschaft, BFH v. 16.03.1993, VII R 57/92, BFH/NV 1993, 707) zeitraumbezogen ist, d. h. hinsichtlich der Verbindlichkeiten und der erbrachten Zahlungen (unter Einschluss verrechneter Vorsteuerüberschüsse, BFH v. 07.11.1989, VII R 34/87, BStBl II 1990, 201) auf die Verhältnisse des gesamten Haftungszeitraums abzustellen ist. Die Haftungsquote ist für das Unternehmen einheitlich, d. h. ohne Aufteilung auf Geschäftsbereiche oder Tätigkeitsfelder, zu berechnen (BFH v. 14.06.2016, VII R 20/14, BFH/NV 2016, 1672; BFH v. 14.06.2016, VII R 21/14, BFH/NV 2016, 1674). Dabei bedarf es keiner "auf Heller und Pfennig" ausgerechneten Feststellung der Tilgungsquote. Ungleichmäßigkeiten in der Zahlungsfähigkeit des steuerpflichtigen Unternehmers während des Haftungszeitraums können durch pauschale Abschläge (das FG hatte 10 v. H. für angemessen gehalten) von der durchschnittlichen Tilgungsq...